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Die Krisenmechaniker

Sabine Nuss über ein Ungleichgewicht, was es gar nicht geben dürfte

  • Sabine Nuss
  • Lesedauer: 3 Min.
Sabine Nuss ist Politologin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Sabine Nuss ist Politologin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Ökonomen mögen es, wenn alles im Gleichgewicht ist. Importe und Exporte, Staatseinnahmen und -ausgaben, Angebot und Nachfrage. Mit Sorge wird darüber berichtet, wenn China mehr verkauft, als es einkauft und wenn die USA das Umgekehrte machen. Wenn die Staatsverschuldung wächst oder in einem Land mehr Kapital rausfließt als reinkommt. Das alles bringt die Welt ins Ungleichgewicht und damit Krisen. Auch die jüngste Krise wird mit Ungleichgewichten im Außenhandel erklärt, der deutsche »Exportismus« wird kritisiert.

Vor einiger Zeit machte sich die britische Wochenzeitschrift »The Economist« lustig darüber, dass den Ökonomen bei aller Vorsicht das größte Ungleichgewicht überhaupt entgangen sei: Zählt man alle Importe und Exporte der Welt zusammen, müssten sie sich ausgleichen, denn des einen Ein- ist des anderen Ausfuhr. 2011 aber meldete das Wirtschaftsmagazin, dass dies 2010 nicht der Fall gewesen sei. Damals exportierte die Welt 331 Milliarden Dollar mehr als, sie importierte. »Kaufen Außerirdische etwa Handtaschen von Louis Vuitton?«, fragte der »Economist«. Doch trotz Curiosity Rovers Mission auf dem Mars: Planet Erde hatte keinen extraterrestrischen Leistungsbilanzüberschuss, es waren statistische Fehler.

Ökonomen mögen das Gleichgewicht. Denn es verspricht Stabilität. Dass eine Ökonomie dann rund läuft, wenn sich alles die Waage hält, ist ein seltsamer Topos in einer Welt, in der die Wirtschaft auf Wettbewerb beruht, der nicht für Stabilität, sondern für Dynamik steht. Einerseits müssen alle immer schneller, besser, billiger, rentabler werden, damit sie im Wettbewerb bestehen. Ständig Differenz herstellen, indem sie gewinnen und die anderen verlieren lassen. Andererseits sollen sich alle in ausgeglichener Harmonie gegenüber stehen, also Differenz vermeiden.

Der Wettbewerb produziert Unterschiede, Mangel und Überfluss zugleich. Aber Ökonomen lassen sich davon nicht erschüttern. Sie finden eine Welt, in der - wie Karl Marx es so schön schrieb - das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel jagt, eine Welt, in der die Konkurrenz zur Maximierung von Profit treibt, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht - solch eine Welt finden die Anhänger des freien Spiels der Marktkräfte unbeirrt planbar, gestaltbar, beherrschbar, steuerbar und zwar zum einigermaßen Guten und irgendwie doch für alle.

Hunderte von Jahren mit immer wiederkehrenden kapitalistischen Krisen können Ökonomen nicht davon abhalten, die »Wirtschaft« als eine Maschine zu betrachten, die zwar extrem kompliziert ist, aber zumindest theoretisch beherrschbar: Man müsse nur an der richtigen Schraube drehen (Löhne rauf oder runter), die Kombizange an der passenden Stelle anlegen (Einkommen besteuern oder entlasten), den Sechskantschlüssel bis zum Anschlag drehen (Finanztransaktionssteuer oder Finanzmarktliberalisierung) - wie auch immer, mit der korrekten Gebrauchsanleitung würde der Kapitalismus stehen wie eine Eins, krisensicher und mit Wohlstand für alle.

Dabei ist klar: Jede noch so ausgefeilte Gebrauchsanleitung wird die Widersprüche nicht dauerhaft lösen können. Kapitalismus bleibt ein Reparaturbetrieb. Gut für jene, wenn die Reparatur eine Weile hält. Schlecht für jene, wenn die Maschine mal wieder kaputt geht - mit meist verheerenden Folgen für die Kapitalismusmaschinenbewohner. Das riskieren Krisenmechaniker, wenn sie nicht das tun, was die Vernunft gebietet: Die Maschine auswechseln.

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