Beschäftigtendatenschutz 2.0

Videoüberwachung bis aufs Klo: Juristen fordern eine Gesetzesnovelle

  • Uwe Sievers
  • Lesedauer: 3 Min.
Obwohl umfassende Video- und Email-Überwachungen untersagt sind, werden sie immer noch häufig verwendet. Datenschützer fordern eine Verbesserung des Beschäftigtendatenschutzes.

Datenschutz sei Chefsache, lautet eine Empfehlung von Juristen. Viele Chefs nehmen das allzu persönlich und führen umfangreiche Überwachungen ihrer Mitarbeiter durch. Ein Beispiel ist die Videoüberwachung in den Verkaufsläden der Firma Apple, die nicht nur Kunden, sondern auch Mitarbeiter erfasste. Es mangelt an einem wirkungsvollen Gesetz, dass den Datenschutz von Beschäftigten regelt. Apple erhielt für das Ausspionieren seiner Mitarbeiter den Big Brother Award, eine Auszeichnung für Datenschutzvergehen. In der Jury für die Preisvergabe saß auch der Direktor der Europäischen Akademie der Arbeit an der Universität Frankfurt (Main), Peter Wedde. Er sprach am Rande eines Datenschutzkongresses nach seinem Vortrag mit »nd«.

Es mangelt nicht an Beispielen: Das Landeskriminalamt Thüringen führte heimlich eine umfassende Videoüberwachung durch, um den Diebstahl von Toilettenpapier aufzudecken. Diese unerlaubte Maßnahme fand an allen möglichen und unmöglichen Örtlichkeiten statt. Flächendeckende Überwachung ohne wichtigen Anlass sei wie das Auswerfen eines Schleppnetzes, bei dem der Beifang mitgenommen werde, so Wedde.

Politik verschleppt Gesetzentwurf

Ursprünglich sei das Arbeitsministerium für Arbeitnehmerdatenschutz zuständig gewesen, erklärt Wedde. Das hatte jedoch vor einigen Jahren die Kompetenz an das Innenministerium, das für das Bundesdatenschutzgesetz zuständig ist, abgegeben. 2011 legte das Innenministerium einen ersten Gesetzentwurf vor, der mit den Worten beginnt: »Der Arbeitgeber darf«; diese Formulierung ließe nicht auf ein Gesetz schließen, bei dem es um den Schutz von Beschäftigten ginge, meint Wedde. Außerdem hätte der ganze Entwurf sehr nach Polizeistaat geklungen. Ende 2012 folgte ein weiterer Entwurf, »der zahlreiche Zugeständnisse an die Arbeitgeberseite enthielt«. Daraufhin regte sich Widerstand und der Entwurf wurde im Januar dieses Jahres von der Tagesordnung des Bundestages entfernt.

Inzwischen stellen Facebook und andere soziale Netzwerke die Juristen vor neue Herausforderungen. Wie soll mit privaten Äußerungen von Mitarbeitern über Kollegen, den Betrieb oder Vorgesetzte umgegangen werden? Nicht selten führen unvorteilhafte Äußerungen auf diesen Plattformen zu Kündigungen. Wedde dazu: »Beschäftigte sind dumm, wenn sie Beleidigungen im Internet äußern. Man muss sich klar machen, das beleidigende Aussagen in den sozialen Netzwerken eine unkalkulierbare Zuhörerschaft und Reichweite haben.«

Bewerberüberprüfung im Internet

Datenschutzfragen entstehen schon vor Beginn des Arbeitsverhältnisses, etwa wenn Bewerber online durchleuchtet werden. »Zur Internetrecherche bei Bewerbungen gehen die gerichtlichen Meinungen stark auseinander«, sagt Wedde. »An sich ist das ohne Einwilligung des Betroffenen nicht erlaubt. Wenn das ein Personalchef trotzdem macht, muss er danach den Betroffenen darüber informieren.« Das passiere nur selten.

Soziale Netzwerke halten neuerdings auch in anderer Form Einzug in den Betrieb: Mitarbeiter leiden unter der E-Mail-Flut, und erste Unternehmen versuchen, dem durch die Einführung interner sozialer Netzwerke zu begegnen. Wedde hält daher einen »Beschäftigtendatenschutz 2.0« für notwendig. Denn Unternehmen könnten zukünftig auswerten, was Mitarbeiter über die letzten Jahre in diesen Netzen geschrieben haben. »Diese internen sozialen Netzwerke könnten eine echte Revolution in der Arbeitswelt auslösen, ähnlich der Einführung von E-Mail damals« so Wedde. »Sie ermöglichen umfassende Auswertungen des individuellen Arbeitsverhaltens in beliebigem zeitlichen Abstand.« Die Datenschützer sind gefordert.

Auch wenn der letzte Gesetzentwurf erst einmal vom Tisch sei und vor der Bundestagswahl nicht mit einer Entscheidung zu rechnen ist, bleibe dieses Thema relevant. »Es ist ziemlich sicher, dass im nächsten Koalitionsvertrag ein Beschäftigungsdatenschutz vorgesehen sein wird. Wie dieser aussehen wird, hängt von den dann verantwortlichen Koalitionspartnern ab. Wichtig wäre, dass dabei der Schutz der Arbeitnehmer im Vordergrund steht.« Unternehmen sollten daher bei entsprechenden Regelungen die Arbeitnehmervertreter stärker einbeziehen.

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