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»Es ist in Europa sehr viel Porzellan zerschlagen«

Konjunkturforscher Andrew Watt über die Eurokrise und die fehlerhaften Antworten der Politik darauf

  • Lesedauer: 3 Min.
Andrew Watt ist Abteilungsleiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Simon Poelchau sprach für das »neue deutschland« mit ihm.

nd: Heute beginnt der EU-Gipfel. Hauptthema wird die Eurokrise sein. Sind Sie optimistisch, dass es bald wieder bergauf geht?
Watt: Ich bin zumindest optimistisch, dass es nicht noch schlimmer wird. Es gibt erste Anzeichen für eine Erholung in einigen Krisenländern: Die wird aber erst sehr allmählich kommen und die Situation bleibt sehr angespannt.

Die hohe Arbeitslosigkeit in Griechenland und den anderen Krisenländern sollte doch eher pessimistisch machen.
Griechenland ist ein Extremfall. In Spanien ist die Arbeitslosigkeit auch sehr hoch, aber ich sehe Licht am Ende des Tunnels. Dort sind die Exporte wieder gestiegen und die preisliche Anpassung hat schon zum großen Teil stattgefunden.

Erkauft wurde das mit Einschnitten in das Sozialsystem ....
Natürlich war das sehr schmerzhaft. Ich bin selbst ein scharfer Kritiker der Austeritätsmaßnahmen. Aber wenn man in die Zukunft blickt, dann muss man sagen, dass das Schlimmste wahrscheinlich schon hinter uns liegt. Dabei kann natürlich noch eine Menge passieren. Wir haben immer noch ungelöste Probleme im Bankensektor.

Aber die Zahlen müssen nicht mehr nach unten korrigiert werden?
Die Vorhersagen der EU-Kommission sind notorisch überoptimistisch.

Wie groß ist der Schaden, den die Sparpolitik anrichtet?
Es ist in Europa sehr viel Porzellan zerschlagen worden, das nicht alles hätte zu Bruch gehen müssen. Man hätte die Sparprogramme in den Krisenländern zumindest deutlich strecken müssen. Dies hätte mit stärkeren Lohnerhöhungen und einer expansiven Fiskalpolitik in wirtschaftlich starken Ländern einhergehen müssen.

Wenn heute Europas Spitzenpolitiker zusammen treffen, glauben Sie, dass sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben?
Zumindest fängt man an, sich von dem Gedanken zu lösen, dass die Austerität das Allheilmittel für alle Probleme sei. Es gab auch schon einige Fortschritte.

Welche Fortschritte waren das denn?
Auch wenn es sehr spät kam, so war eine wichtige Maßnahme die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, notfalls in unbegrenztem Umfang Staatsanleihen aufzukaufen. Dann kommt auch noch die Politik ins Spiel.

Inwiefern?
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) möchte kurz vor den Bundestagswahlen Ruhe in Europa haben. Dadurch gibt es in der Politik eine Mischung aus pragmatischen Gründen und Einsichten, so dass man peu à peu von den ganz harten Sparforderungen abrückt. Das kommt zwar fast schon zu spät, aber besser spät als gar nicht.

Sechs Milliarden Euro für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist dabei nicht sehr viel ...
Das stimmt. Um da was bewirken zu können, müssten ganz andere Summen in die Hand genommen werden. Insofern sind die sechs Milliarden nicht ernst zu nehmen.

Müsste dafür nicht Europa von seiner Fokussierung auf die Haushaltskonsolidierung abrücken?
Begründet wird das immer mit der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit Europas. Aber das war nie sein Problem. Wir haben sogar steigende Leistungsbilanzüberschüsse im Euroraum. Wir haben stattdessen eine Nachfrageschwäche, die behoben werden muss. Dafür braucht es Konjunkturprogramme, die die Menschen schnell in Lohn und Brot bringen. Durch solche Programme könnten auch nachhaltig die Grundlagen für stabiles Wachstum geschaffen werden. Etwa durch Investitionen in Bildung und die Energiewende.

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