Dunkle Wolken am Wörthersee

Kein Geld für den Ingeborg-Bachmann-Preis? Oder doch?

  • Werner Liersch
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Mittwoch werden in Klagenfurt zum 37. Mal die »Tage der deutschsprachigen Literatur« eröffnet. Man unkt, es könnten die letzten sein.

Als 1977 der österreichische Autor Humbert Fink und der damalige Intendant des Kärntner Landesstudios des ORF, Ernst Willner, in Klagenfurt einen Literaturpreis mit dem Namen der aus dieser Stadt stammenden Ingeborg Bachmann als Höhepunkt der Literatur-Tage ins Leben riefen, war damit ein besonderes Procedere verbunden: Eine Gruppe von Kandidaten stellt sich in einer mehrtägigen öffentlichen Lesung dem Urteil einer Jury. Jedes Jury-Mitglied darf zwei Autoren vorschlagen. Der Preis war gedacht, jungen Schreibenden den Weg zu öffnen. Die gelesenen Manuskripte mussten unveröffentlicht sein. Der vor aller Augen ausgetragene Wettbewerb gewann rasch an Autorität. Er wurde so etwas wie ein literarischer Ritterschlag. Nicht zuletzt, weil der selbstbewusste Marcel Reich-Ranicki zehn Jahre lang als Sprecher der Jury amtierte. Ein Preis ist auch so gut wie seine Jury.

Gleich der zweite Bachmann-Preis wurde 1978 Ulrich Plenzdorf für seine Erzählung »Kein runter, kein fern« verliehen. Plenzdorf in Klagenfurt war wohl eher einem Versehen der DDR-Behörden geschuldet. Sie hatten sich der »Abgrenzung« statt dem Wettbewerb in deutschen Dingen verschrieben, der in vielem zu bestehen war, wie der Fall Plenzdorf zeigte. Erst 1987 fanden die Einladungen der Klagenfurter, man möge doch aus der DDR mit Autoren und Juroren zum Ingeborg-Bachmann-Preis kommen, Resonanz. Helga Schubert und ich reisten mit Autoren wie Irina Liebmann und Uwe Saeger an. Ich staunte, dass man sie nicht kannte. In Klagenfurt staunte man, dass es sie gab. Uwe Saeger bekam den Bachmann-Preis, Irina Liebmann den Ernst-Willner-Preis. 1988 gewann Angela Krauß den Bachmann-Preis. Hellmuth Karasek sagte mir damals, und wenn Sie im nächsten Jahr Goethe mitbringen, es gibt keinen Preis.

Recht hatte er, es gab keinen Goethe, aber Karl Corino schlug den aus Meuselwitz/Thüringen stammenden Wolfgang Hilbig vor, dem der Bachmann-Preis 1989 zugesprochen wurde. Literatur braucht Erfahrung, die ostdeutsche trägt den Charakter, wohl kunstmächtig zu sein. Bernd Schirmer öffneten sich vor der Wende weit die Türen eines westdeutschen Verlages für seine prächtige DDR-Satire »Cahlenberg«, sie klappten nach 1989 zu. Der Roman erschien erst 1994 in einem kleinen Leipziger Verlag. Auch die Literaturerfahrungen ostdeutscher Kritiker, Lektoren, Literaturwissenschaftler waren dann nicht mehr gefragt.

»Klagenfurt«, das beständig Anspruch auf Neues erhebt und einer Vielzahl von Autoren wie Sten Nadolny, Katja Lange-Müller, Uwe Saeger, Angela Krauß, Birgit Vanderbeke, Arno Geiger, Sibylle Lewitscharoff, Uwe Tellkamp den Weg in die Öffentlichkeit erleichterte, hat die fatale Neigung, über sehr konventionelle Dinge zu stolpern. Dazu gehört, im heißen Wettbewerb der deutschen Literaturpreise um Ansehen und Geltung mit hohen Einsätzen mitzuspielen.

Nicht wenig ist in der zurückliegenden Zeit geschehen, den Preis immer spektakulärer, aufwendiger, TV-kompatibler zu machen. Die ursprüngliche Preissumme hat sich auf 25 000 Euro verdoppelt, zu den drei Nebenpreisen kam 2002 noch ein »Publikumspreis«. Aus der ursprünglichen TV-Übertragung von Ausschnitten aus Lesungen und Diskussionen wurde eine vollständige Fernsehpräsenz. Der Intendant des Studios Kärnten, Heinz Felsbach, fragte bei ihrer Einführung 1989: »Welcher Art sind die Rückwirkungen der ›TV-Show‹ auf künftige Bachmann-Lesungen?« Eine Antwort geben diese Tage.

Der Österreichische Rundfunk, dessen Landesstudio Kärnten den Wettbewerb und die Fernsehübertragungen mitträgt, hat für 2014 den finanziellen Rückzug angekündigt. Er müsse sparen. Es geht um 350 000 Euro. Dem Bachmann-Wettbewerb wäre damit das finanzielle Rückgrat gebrochen. Die Reaktionen in der literarischen Öffentlichkeit sind scharf. Das österreichische PEN wirft dem ORF »Sparpolitik vor, die nur auf Billigstquoten« schaue. Die Frontlinien lassen sich allerdings nicht mit dem Lineal ziehen, denn der Bachmann-Wettbewerb ist längst selber Teil des Kulturbetriebes. Die auch von ihm praktizierte Konkurrenz der Preise schwebt mit ihren Einsätzen hoch über der Wirklichkeit des literarischen Alltags, etwa den Autorenhonoraren oder dem, was öffentlichen Bibliotheken in den Kommunen für Buchankäufe zur Verfügung steht.

In Klagenfurt wird man sich zusammensetzen. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hat Gesprächsbereitschaft signalisiert und sich erstaunt gezeigt, wie viel Aufmerksamkeit die Nachricht zum Bachmann-Preis bekommen hat. Jury-Sprecher Burkhard Spinnen bekundete Verständnis für ökonomische Kalküle und mahnte, sie dürften aber nicht in allen Lebensbereichen die Oberhand gewinnen. Man wird sich einigen - wenn schon nicht aus den guten Gründen, die für den Bachmann-Preis sprechen, dann, weil die Drohung des ORF letztendlich wohl der Baustein einer Auseinandersetzung um ORF-Sparziele ist. Der Schachzug ist getan. Die Verantwortlichen für den Bachmann-Preis sollten nicht nur eine Drohung abwehren. Sie sollten auch ihre Positionierung überdenken. Für die braucht man den ORF nicht.

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