nd-aktuell.de / 09.07.2013 / Politik / Seite 10

»Die Nakba hat nie aufgehört«

Die Rechtsanwältin Haneen Naamnih über die geplante Vertreibung der Beduinen aus der Negev-Wüste

Die israelische Palästinenserin Haneen Naamnih ist Juristin und Mitarbeiterin des Internetmagazins www.jadaliyya.com. Über die Pläne der israelischen Regierung, die Beduinen aus der Negev-Wüste auszusiedeln, sprach mit Haneen Naamnih für »nd« Rolf-Henning Hintze.

nd: Was hat es mit dem Prawer-Plan zur Aussiedlung der Negev-Beduinen auf sich?
Naamnih: Der Prawer Plan wurde 2007 vom Premierminister Ehud Olmert in Auftrag gegeben, um eine endgültige Lösung des sogenannten Beduinenproblems auszuarbeiten. Ziel ist es, alle Landansprüche in der Negev zu beenden. Die Beduinen werden von Israel als ein Problem angesehen, das aus der Sicht der Regierung in den so genannten nicht-anerkannten Dörfern besteht, das sind traditionelle Dörfer in einem bestimmten Gebiet. 90 000 Beduinen leben in nicht anerkannten Dörfern. Der israelische Staat verweigert die Anerkennung der Eigentumsrechte in diesen Gebieten. Die Menschen dort leben unter katastrophalen Bedingungen, es mangelt an Wasser, Elektrizität und gesundheitlichen Diensten, es gibt keine Schulen.

Sie sollen in Städte umgesiedelt werden?
Ja. Der Staat versucht, sie aus den Dörfern zu vertreiben und in sieben Städte umzusiedeln, die seit 1969 gebaut wurden, um alle Beduinen zu konzentrieren. Diese sieben Städte sind die ärmsten in Israel, dort gibt es hohe Arbeitslosigkeit, viel Kriminalität und Drogen. Deshalb weigern sich die Menschen, sie sagen, wir leben auf unserem Land, und fordern die Anerkennung ihrer Dörfer. Es gibt Pläne, dort neue jüdische Siedlungen zu errichten. Die Leute fragen: Warum wollt ihr Menschen, die keine Verbindung zu diesem Land haben, an unserer Stelle hierher bringen, und wir sollen das Land verlassen, auf dem wir seit Jahrhunderten leben?

Wie ist der Prawer-Plan zeitlich angelegt?
Der Prawer-Plan legt einen aus israelischer Sicht effizienten Plan vor, die 90 000 Beduinen aus den nicht anerkannten Dörfern in die sieben Städte zu bringen. Der Plan sieht vor, dass innerhalb von fünf Jahren alle umstrittenen Eigentumsansprüche in der Negev geklärt werden. Die Betroffenen sollen mit einer Entschädigung abgefunden werden, entweder Land oder Geld. Aber das Land hat nicht die gleiche Qualität und bei weitem nicht die gleiche Größe. Wenn sie 200 Dunums hatten, bekommen sie vielleicht einen Dunum (1000 Quadratmeter). Und für diese Entschädigung müssen sie ihre historischen Ansprüche aufgeben.

Wie sehen die Lebensbedingungen in der Negev aus?
Es ist keine richtige Wüste, es ist kultivierbares Land, und die Beduinen haben seit dem 16. Jahrhundert traditionelle Landwirtschaft betrieben. Vor der Vertreibung 1948 war die Landwirtschaft ihr wichtigstes Einkommen. Nach 1948 siedelte Israel sie in andere Gebiete um, die wirtschaftlich weniger gut waren, und dadurch verarmten sie. Als eines der Mittel, um sie zu vertreiben, vergiftete Israel die Ernten, das ruinierte den Boden und in der Folge starben Menschen. Das geschah 2006 und 2007. Ein Urteil des Obersten Gerichts hat diesen Gifteinsatz als inhuman untersagt, bestätigt wurde jedoch, dass die Beduinen das Gebiet verlassen müssten.

Sie sprachen von Entschädigung, falls die Beduinen das Land verlassen. Welche Summen wurden ihnen zugesagt?
Sehr wenig Geld, nur für Teile ihres Landes werden überhaupt Entschädigungen fällig und das unter Wert. Nach Angaben einiger Organisationen, die sich damit beschäftigen, ist es nicht mehr als 14 Prozent des Marktwertes.

Es gibt einige Abmilderungen am ursprünglichen Prawer Plan, inzwischen heißt er Begin-Plan.
Ja, Begin ist ein Knesset-Abgeordneter, der den Gesetzentwurf vorbereitete. Doch das Prinzip ist geblieben, auch die Fünfjahresfrist.

Die SPD hatte die Idee, Israel zum 65. Staatsjubiläum die Anpflanzung eines Wald in der Negev zu schenken. Wie sehen Sie das?
Es ist nichts Neues. Dieser Wald entsteht in Zusammenarbeit mit dem JNF, dem Jüdischen Nationalfonds. Der JNF wurde 1901 gegründet, um Land für den Gebrauch nur von Juden zu kaufen und später auch für die Aufforstung von Land, auf dem Ruinen palästinensischer Dörfer standen. Damit sollte die Rückkehr in die Dörfer verhindert werden. Das Anpflanzen eines Waldes schafft irreversible Tatsachen. Das wurde seit 1948 auch in der Negev praktiziert.

Wie beurteilen Sie das Geschenk der SPD?
Es ist unerwünscht, wir brauchen solche Geschenke nicht. Palästinenser brauchen sie nicht. Offensichtlich sieht die SPD, die ein solchen Geschenk macht, die Palästinenser nicht. Für sie existieren die Palästinenser dort nicht, und das ist die gleiche Logik wie die der zionistischen Bewegung, die nicht die einheimische Bevölkerung sieht. Für sie war es ein leeres Land. Das haben alle kolonialen Siedlerbewegungen der Welt gemeinsam.

Sie sprechen davon, dass die Nakba (Katastrophe) nicht beendet sei. Was meinen Sie damit?
Die Nakba von 1948 war kein einmaliges Ereignis. Die Invasion des Siedlerkolonialismus ist etwas Strukturelles. Diskriminierung und Umsiedlung hat es seit 1948 gegeben. Auch wenn es jetzt keine physische Verdrängung ist, so bedeutet es für die, die 1948 geblieben sind und später die israelische Staatsbürgerschaft bekamen, die Beschneidung ihrer Rechte. Sie mussten 20 Jahre unter israelischer Militärverwaltung leben, und danach wurden sie erneut diskriminiert. Sie verloren etwa 60 Prozent ihres Landes. Die Nakba hat nie aufgehört. So lange Israel als Siedlerkolonie besteht, ist sie da. Für uns ist die Nakba jeden Tag da.