Der Nächste geht auf mich

In einem Café in Madrid bezahlen Kunden den Milchkaffee für ärmere Gäste gleich mit

  • Ralf Streck, Madrid
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Krise in Spanien verändert auch die Konsumgewohnheiten. Das Café Comercial in Madrid hat eine Idee aus Italien aufgegriffen. Kunden zahlen freiwillig, wenn sie einen Kaffee trinken, den nächsten gleich mit.

Immaculada Peréz macht ihre Bestellung. »Einen Milchkaffees und zwei ausstehende Kaffees«, bestellt sie morgens im Madrider Café Comercial. Die Spanierin arbeitet als Verkäuferin in einem Geschäft nahe der Glorieta de Bilbao, wo sich das Comercial befindet. Mit zwei »ausstehenden Kaffees« (cafés pendientes), lädt sie zwei Menschen ein, die gerne einen Kaffee trinken möchten, aber kein Geld zum Bezahlen haben.

Teresa Sánchez vermerkt mit zwei Strichen auf einer Tafel hinter dem Tresen, dass weitere zwei pendientes auf Kunden warten. »Wir haben einen Überschuss auf der Tafel, weshalb ich die pendientes auf einem zusätzlichen Zettel vermerken muss«, erklärt Sánchez und strahlt. Sie arbeitet seit 25 Jahren im altehrwürdigen Literaturcafé. Es existiert seit 1887 im Zentrum der Hauptstadt, wo sich seither Künstler und Schriftsteller treffen.

Oft kann es sich Peréz bei ihrem schmalen Lohn von 960 Euro im Monat nicht leisten, zwei pendientes zu bezahlen. Das Comercial ist nicht billig. Ein Kaffee kostet 2,30 Euro. »Doch ich will meinen kleinen solidarischen Beitrag leisten«, erklärt sie. Sie fand die Idee so gut, dass sie öfter in der Pause einen längeren Weg zurücklegt, um sie zu unterstützen. »Was passiert sonst mit all den Leuten, die sich den Gang in die Bar oder ins Café nicht mehr leisten können?« Die schwere Krise hat zu sechs Millionen Arbeitslosen geführt. Im löchrigen spanischen Sozialstaat erhält davon nur noch gut die Hälfte Arbeitslosengeld oder 400 Euro Sozialgeld, das nur sechs Monate gezahlt wird.

Viele Kunden im Comercial, das für sein vielseitiges Engagement bekannt ist, beteiligen sich, um der sozialen Ausgrenzung zu begegnen, unter denen viele bei einer Arbeitslosenquote von fast 27 Prozent leiden. Peréz ist längst gegangen und weiß nicht, dass einer ihrer Kaffees nun von José getrunken wird. Von seiner schmalen Rente - 640 Euro monatlich - leben nicht mehr nur er und seine Frau, sondern nun auch die Tochter mit ihren beiden Kindern.

»Es war ein Verrückter, einer der guten Verrückten, der damals 40 Euro für einen Kaffee auf den Tisch warf«, erklärt Sánchez hinter dem Tresen, wie es zu der Aktion kam. »Stimmt so«, habe der gesagt. Für den Rest sollte denen Kaffee ausgeschenkt werden, die ihn benötigten, aber kein Geld hätten. Die Geschäftsführung war von der Idee begeistert und sie hat auch dem Café geholfen. Bisher wurde niemand entlassen, die Umsätze seien, auch dank der pendientes, nur etwa um fünf Prozent gesunken, Das Beispiel hat längst im ganzen Land Schule gemacht und das ist vor allem Gonzalo Sapiña zu verdanken. Der junge Katalane aus Barcelona hat Ende März die Internetseite cafespendientes.es geschaffen. Mehr als 100 Kneipen und Cafés haben sich schon registrieren lassen und Sapiña hat sie auf seiner Internet-Karte eingetragen. Eigentlich stammt die Idee aus Neapel und wurde schon vor 400 Jahren geboren, erklärt er. Mit Ausbruch der Krise sei sie dort 2008 wieder belebt worden.

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