Das Leuchten der Harlekine

Das Schwule Museum zeigt Gemälde von Jochen Hass aus den 1950ern

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

»Sollte ich einmal meine ›Memoiren‹ schreiben, brauchte ich nur meine Bilder durchzugehen«, bekennt Jochen Hass in dem 1989 publizierten, damals mutigen Sammelband »Ganz normal anders«. Darin gaben 13 schwule Männer zwischen 18 und 85 Jahren Auskunft über ihre Lebensumstände, freilich nur unter dem Vornamen oder einem Kürzel. Auch Hass firmiert lediglich als »J. A. W., geboren 1917, Maler und wissenschaftlicher Mitarbeiter«. Freimütig sagt er in dem Interview: »Liebesbeziehungen im üblichen Sinn gab es nie, dafür die Liebe zum Mann schlechthin.«

Der zweite Teil des Satzes könnte als Motto über seinem malerischen Werk stehen. Zu sehen ist es derzeit im Schwulen Museum und damit zugleich eine Neuentdeckung unter den Künstlern der DDR. Denn Hass malte nur, was aus ihm herausdrängte. Propagandistischer Kunst im Stil des sozialistischen Realismus verschloss er sich. Zu Beginn der DDR bedeutete das den Verzicht auf öffentliche Wirkung, offizielle Aufträge, Ausstellungen. Womit sich Hass in freier Maltätigkeit neben seinem Beruf von 1950 bis 1955 befasste, dokumentiert das Museum anhand von 50 Gemälden unter dem Titel »Zwischen Tradition und Moderne«.

Sie lesen sich gleichsam als eine Art Tagebuch voller intimer, dabei verschlüsselter Fragen, die er an sich selbst stellte, und als Botschaften seines Entwicklungsprozesses hin zum bekennenden Homosexuellen. Anregung dazu empfing er während des Studiums an der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar. Vorangegangen waren nach dem Abitur ein kurzes Philologiestudium in München und Greifswald, dann Fron als Soldat.

Vom verehrten Professor Hermann Kirchberger übernahm er ein Motiv, das er für sich umdeutete. In Arbeiten um 1950 wird der Harlekin zur Metapher nicht für den Spaßmacher, sondern für einen, der das wahre Selbst hinter seiner Rolle verbirgt. Der trauervoll und in düster brennender Farbigkeit vor dem Mysterium Leben steht, wie es sich hinter dunkler Wand, der schlitzweit geöffneten Tür versteckt. Der auf dem Seil überm Abgrund balanciert oder eine Maske trägt, schemenhaft aus der Bildfläche auftaucht. Auch wenn Hass, an Picasso gemahnend, mehrere Harlekine malt, muten sie eher als individuell Gezeichnete denn als Komödiantengruppe an. Matt, ohne Firnisglanz, leuchten sie in pastoser Malweise auf, die mit unruhig geführtem Pinselstrich charakterisiert.

Die persönliche Beziehung zu einem Rollschuhläufer lässt Hass ebenfalls Anfang der 1950er das Sujet Sport aufgreifen. Seine »Fußballspieler«, von denen einer das Harlekintrikot trägt, bestechen nicht durch dargestellte Dynamik, sondern durch die Begegnung zweier Körper. In »Fußballfreunde beim Fotografen« blitzt, selten bei Hass, Witz auf, wenn der größere um den kleineren, beide blockhaft frontal, den Arm legt. Deutlicher noch wird er im »Selbstbildnis mit Freund«: Der mit dem braunen Gesicht, Hass selbst im weinrot karierten Harlekinoberteil, steht im Begriff, das lässig posierende Gegenüber zu umfangen.

Drei Männer im Anzug sind wohlkomponiert »Architekten«, wie sie auf und an Symbolen der Antike, Säule und Kapitell, Dienst tun. Die Antike wird, als Reaktion auf die Studien in Weimar, neue Quelle der Auseinandersetzung, wieder allerdings als Ausdruck eigener Befindlichkeiten. Der nackte Aktäon, in ägyptischer Schreitstellung und bereits das Geweih des Hirsches auf dem Haupt, in den ihn Diana verwandelt, mag auch Sehnsuchtsgestalt sein, wie eine Farblinie die Mitte des schmalen Körpers lustvoll nachzieht.

Drei Apoll-Darstellungen mit Lyra im Arm feiern den, wenngleich nach Art von Greco überlängten, Jünglingswuchs, stehen wohl auch als Synonym des nicht Erreichbaren. Im »Großen Apoll« von 1952, mit sanft athletischer Gestalt vor rotgetöntem Hintergrund, im Profil und den Ringellocken feiner ausgeführt, meint man Jean Cocteaus Leichtigkeit des Strichs zu erkennen. Wie Chiffren fallen bisweilen die Bildnisse des Flöte spielenden Pan und der Faune aus seinem Gefolge aus.

Großes gelingt Hass in den stilisierten Porträts junger Männer: vom 1950 selbstbewusst sich präsentierenden Akteur Wöckener im Sakko mit Harlekin-Muster, über die an Matisse erinnernde Szene eines Berliner Freundes und den farblich glühenden »Jungen Mann im Zimmer«, beides 1952, zum meisterlichen Selbstbildnis im Fluchtpunkt einer Straße 1953. Kurz danach siedelt Hass nach Berlin über, wird bei Hermann Henselmann Denkmalpfleger, malt privat weiter und experimentiert auch mit abstrakten Formen. Sie ergänzen den Überblick eines Jahrfünfts im Schaffen des 2000 verstorbenen Künstlers.

Bis 19.8., Schwules Museum, Lützowstr. 73, Tiergarten, Telefon 69599252, www.schwulesmuseum.de

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