Kein Grund zum Dementi

Entsteht ein neues NSA-Zentrum für Europa bei Wiesbaden? Im Prinzip ja - aber ...

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Angela Merkel hält sich und ihren Kanzleramtsminister Ronald Pofalla heraus aus dem Streit um die NSA-Lauschangriffe. Man sei nicht mehr im Kalten Krieg, ließ die Kanzlerin verlauten. Irrtum. Die Frage lautet nur: Wer kämpft mit wem gegen wen?

Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, hat am Mittwoch im geheimen Teil der Sitzung des Bundestags-Innenausschusses bestätigt, dass der US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) in Wiesbaden ein neues Abhörzentrum errichtet. Das sickerte bis in Zeitungsredaktionen durch.

Hat er nie gesagt, lautet das Dementi am Donnerstag. Richtig. Schindler hat im Zusammenhang mit dem NSA-Problem nur von einem »Europäischen Technischen Zentrum« gesprochen - und damit von einem eigentlich alten Hut. Dass die US-Armee ihr Gelände der Lucius D. Clay-Kaserne in Wiesbaden-Erbenheim massiv ausbaut, ist ein offenes Geheimnis und sogar per google aus dem Kosmos zu betrachten. Dass dort ein neues »Consolidated Intelligence Center« gebaut wird, das rund 124 Millionen Dollar kosten soll, kann also nicht nur der BND durch simple Recherche herausbekommen. US-Army-Sprecherin Colonel Rumi Nielson-Green hat kein Problem, das Projekt zu bestätigen. Auch nicht, dass das Zentrum Ende 2015 fertig sein soll. Und was ist mit der NSA? Nichts, sagt Frau Oberst, denn sie könne nicht für den Geheimdienst sprechen.

Richtig, denn zwischen den Streitkräften und dem (militärischen!) Nachrichtendienst NSA gibt es eine Zwischenbehörde, den Central Security Service (CSS). Der CSS koordiniert die Arbeit mit den traditionell so genannten kryptologischen Diensten von Marine, Marines, des Heeres, der Luftwaffe sowie der Küstenwache. Wohl nicht zufällig ist der Direktor der NSA zugleich Chef des CSS. Und dem unterstehen alle nachrichtendienstlich verwendeten Einheiten der Streitkräfte. So das 5th Signal Command, dessen Einheiten auch in Wiesbaden-Erbenheim stationiert sind. Sobald das neue »Consolidated Intelligence Center« fertig ist, wird auch die 66th Military Intelligence Brigade von Griesheim bei Darmstadt nach Wiesbaden umziehen.

Offiziell steht nicht »NSA« an den Gebäuden, an deren Ausbau ausschließlich sicherheitsüberprüfte US-Firmen beteiligt sind. Sogar Baumaterialien für abhörsichere Büros und Hightech-Labors werden aus den USA eingeflogen.

Ungeachtet dessen gibt es Möglichkeiten, den Freunden und Verbündeten auf die Finger zu schauen. Da wäre zunächst einmal das Baurecht. Auf den Karten der Vereinigten Staaten sind 50 Bundesstaaten verzeichnet, keiner davon liegt in Deutschland. Stationierungsabkommen hin oder her - es handelt sich um deutsches Territorium. Wer darauf schon mal ein Haus, eine Straße oder eine technische Anlage wie eine Telefonzelle gebaut hat, weiß um die Schwierigkeiten, die das Baurecht bereiten kann. Kennt das zuständige Baumanagement in Wiesbaden die Bebauungspläne? Wer hat sie abgesegnet? Wie wird das Baugeschehen überwacht? Solche und eine Reihe weiterer simpler Fragen hat »nd« den Zuständigen gestern gestellt. Bis zum Redaktionsschluss kam - wider das Versprechen - kein Sterbenswort zurück.

Das Amt untersteht dem Finanzminister Dr. Thomas Schäfer (CDU). Vielleicht will der gelernte Bankkaufmann und Rechtsanwalt - der gewiss einschätzen kann, wie anfällig das Rhein-Main-Gebiet gegenüber Spionen ist - über seine ausgeübte Aufsichtspflicht höchstselbst berichten? Oder dauert es so lange, sich mit den geheimen Diensten zu konsultieren?

Zurück zur geheimen Mittwochsitzung des Parlamentsausschusses. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte zur Aufklärung der möglichen NSA-Erweiterung in Deutschland gar nichts beizutragen. Nicht viel mehr schien BND-Chef Schindler zu wissen. Er könne nicht sagen, was genau in Wiesbaden entstehe. Möglich, dass die USA nur technische Geräte deponieren oder warten. Die Frage, ob auch Dienstleistungen für deutsche Stellen erbracht werden, blieb offen.

Nicht gesprochen hat man über eine andere, eine zusätzliche Möglichkeit - die Cyberkriegsführung. In aktuellen Kriegen aller Art ist siegreich, wer in fremde Computernetzwerke eindringen, sie ausforschen und manipulieren kann, ohne selbst Hackern eine offene Flanke zu bieten. Die NSA ist auch auf diesem Gebiet Weltmeister. Und sie kooperiert auch dabei mit dem Militär. Neu aufgestellt wurde beispielsweise das sogenannte Cyber Command. Das hat seit 2010 seine Erstschlagskapazität erreicht. Beide - NSA und Cyber Command heften sich den gegen Iran ausgerichteten Computervirus »Stuxnet« als Erfolg an die Fahnen. Nun darf man raten, wer ist Chef der neuen Truppe? Richtig! Jeweils der, der auch NSA und CSS dirigiert.

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