Die Zicken des Adels

Der Zickenplatz: Hohenstaufer Geschichte mitten im gentrifizierten Kreuzberg

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Zickenplatz in Kreuzberg ist ein Beispiel der Beziehung einer Großstadt zwischen Bürgern und Herrschern, aber auch zwischen Zugezogenen und schon länger Ansässigen. Das Spielmobil ist da: fantastische Fahrzeuge, Hängekonstruktionen und ein dickes Rohr, auf dem Kinder mit Schaumstoffschwertern gegeneinander kämpfen dürfen – wer zuerst runterfällt, hat gewonnen. Jeden Freitag ab 14 Uhr kommt das Spielmobil. Jetzt ist zumindest ein Teil des riesigen Spielplatzes lautstark-wuselig bevölkert. Perfekt symmetrisch angelegt befindet sich der Kinderspielplatz mit seiner – zumindest für Kinderaugen – unüberschaubaren Sandfläche in der Mitte des Platzes. Rundherum: schattenspendende Bäume, wuchernde Büsche und Rosensträucher.

Ab 1875 erbaut, wurde der Platz 1889 Hohenstaufenplatz genannt. Ein Name, der bei den Berlinern wohl nie gut ankam. Im 12. und 13. Jahrhundert brachte das Adelsgeschlecht der Hohenstaufer mehrere Herzöge, Kaiser und Könige hervor. Darunter Friedrich I., genannt Barbarossa, der zwischen 1152 und 1190 mehrere Eroberungszüge nach Italien und nach »Kleinasien« unternahm. In dieser Zeit gelangten die Hohenstaufer zu einer Vormachtstellung in Deutschland. Unter anderem an diese Erfolge wollten die preußischen Hohenzollern anknüpfen und verklärten Wilhelm I. als »Barbablanca«. In diesem Zusammenhang könnte also auch die Benennung des Platzes gesehen werden.

Freilich: Genannt wurde der Platz immer Zickenplatz. Mitte des 19. Jahrhunderts nämlich nutzte die Berliner Schlächterinnung die Gegend am Urban, um Schafe und Ziegen weiden zu lassen, bis es für sie in einen der Berliner Schlachthöfe ging. Das Gebiet war unbebaut und lag vor den Toren Berlin-Cöllns. Pläne von Peter Joseph Lenné zur Bebauung des Gebiets wurden ab 1865 langsam umgesetzt. Die Schlächterinnung musste sich immer mehr zurückziehen und durfte zum Schluss nur noch ein kleines Areal an der damaligen Straße von Berlin nach Dresden – heute Kottbusser Damm – nutzen. Eben den Zickenplatz. In einigen Texten wird auch beschrieben, dass bis in die 1950er Jahre Anwohnerinnen und Anwohner ihre Ziegen auf dem Platz weiden ließen. Heute erinnert eine Bronzeskulptur an die Geschichte der Gegend.

»Wem gehört Kreuzberg?« fragen engagierte Bürger auf einem Plakat der gleichnamigen Initiative. Der Graefe-Kiez ist auch ein Gebiet, das von Mietsteigerungen und Gentrifizierungserscheinungen betroffen ist. Die kleinen – oft von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund betriebenen – Läden und Dienstleistungen verlassen den Kiez. Gastronomie siedelt sich an. Im Hudson an der Ecke Schönleinstraße bekommt man im Schatten der Bäume Scones und Chocolate Cakes zum Tee serviert. Es gibt britisches Bier für 3,50 Euro. In der Trattoria Olivie gegenüber gibt es alle Pizzen auch mit Vollkornteig. Vier Gäste sitzen an einem der Tische und philosophieren über die Generation ihrer Eltern. Einer berichtet etwas befremdet vom Einkaufsverhalten seiner Eltern: »Meine Mutter ist nacheinander von einem Supermarkt in den nächsten gegangen. In jedem Supermarkt hat sie nur das gekauft, was jeweils am billigsten war. Nur um ein paar Cent zu sparen.« Kopfschüttelndes Gelächter. Ein Kleinkind mit Kautschuksauger im Mund wird im Kinderwagen vorbeigeschoben – die sollen gesünder sein als die üblichen Silikonsauger und kosten das Dreifache.

Auf dem Spielplatz hingegen ruft die Mehrzahl der Mütter und Väter ihren Kindern etwas auf Türkisch zu. Diese rufen auf Deutsch zurück. Sie wollen sich noch weiter mit Schaumstoffschwertern vom Rohr pfeffern. Viele der Familien kommen mittags von Neukölln – mittlerweile Kreuzkölln – über den Kottbusser Damm zum Spielplatz geschlendert, vertiefen sich in die Sonderangebotsprospekte. Als das Spielmobil langsam einpackt, gehen sie wieder zurück. Eine Wohnung direkt am Platz? Mittlerweile unerschwinglich.

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