Luftwesen mit Erdenschwere

Die Lausitzer Künstlerin E.R.N.A. stellt Malerei und keramische Objekte in Senftenberg aus

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Das ist keine Malerei des ästhetischen Farbensinns, auch kein sachlich kühler Detailrealismus, sondern die Arbeiten der in Altenau bei Mühlberg an der Elbe lebenden Malerin, Grafikerin und Keramikerin E.R.N.A schockieren und faszinieren den Betrachter durch die expressive, fast pophafte Aggressivität ihrer Farbe wie ihrer Themen. Die appellartige Bildwirkung ergibt sich gerade durch die Steigerung der Farbe, die Betonung ihres Symbol- und Ausdruckswertes, verbunden mit der Kraft der Konturen. Farbe und innere Verfassung der Künstlerin - und damit auch des Betrachters - sind eng aufeinander bezogen. Die rote Farbe strömt wie Blut aus einer imaginären Wunde, Blau setzt beruhigende Akzente, Gelb kann zweideutig sein, Ausdruck des Eifernden wie Gleisnerischen, Hochmütigen.

Die mitunter schreiende Intensität ihrer Bilder - das ist eine Bestandsaufnahme des modernen Lebens, der dichterische Erguss eines Geistes, der bis an den Rand mit den alltäglichen, schnelllebigen realen Dingen, aber auch mit den existenziellen Lebensfragen vollgestopft ist. Die Malerin betrachtet ihre Bilder mit liebevollem, aber auch ironischem Blick. Es sind Motive aus der religiösen Kunst - Adam und Eva, die Vertreibung aus dem Paradies, Mutter und Kind, Kreuzigung - und der barocken Kunst - Vanitas, das Leben im Spiegel des Todes -, die sie in unsere Zeit überträgt.

Bilder haben nur noch eine Chance, in unserer Erinnerung haften zu bleiben, wenn sie zeichenhaft sind: einfach, klar und wiederholbar. Der Augenblick - so der Titel der Ausstellung - soll lange im Gedächtnis des Betrachters haften bleiben. Wenn E.R.N.A in Zyklen malt, wenn sie bestimmte Themen - das der Verwundbarkeit und Gefährdung des Menschen, der Macht und Ohnmacht der Frau - erneut aufgreift, dann sollen solche »Wiederholungen« ein Lobgesang auf das Auge sein, sollen aufzeigen, wie es Unterschiede entdecken kann und wie diese Unterschiede sich zu einer ständig veränderten Wirklichkeit summieren. Diese Bilder handeln vom Unterscheidungsvermögen mitten in der Fülle. Ein einfaches narratives Zeichen - ein Bild, das eine einfache Geschichte erzählt - verlangt eine detaillierte und umfassende Aufmerksamkeit, wie sie eigentlich nur der Museumskunst zusteht.

Ein Gefühl der Bedrohung strömen ihre Bilder trotz ihres Humors, ihrer Wortspiele und Anspielungen auf die Kunst aus. Sie wirken mitunter irritierend wie ein Text mit zu viel Fußnoten. E.R.N.As Instinkt für Optik und ihre besessen-virtuose Zeichnung machen die nicht zu bremsende Überfülle ihrer Bilder immer wieder wett. Sie beherrscht eine ganze Tonleiter von grafischen Effekten, vom parodierenden Cartoon bis zur Lyrik. Ihre Arbeiten sind auf malerischer Ebene eine Wiederholung der geballten Vielfalt optischer Kunst in einer Kultur der Massenreproduktion.

Ihre verblüffenden Frauen-Porträts, die mit Pflanzen, Früchten, Stielaugen, aber auch anorganischen Objekten garniert sind, folgen Arcimboldos Kompositköpfen, nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie sprechende Gesichter haben, während der italienische Barockmaler nicht einen winzigen Teil der Oberfläche eines natürlichen Gesichtes zeigt.

Die porträtierten Menschen sind Individuen mit Namen, Alter und bestimmten persönlichen Kennzeichen. Sie verkörpern ein existenzielles Trauma, weisen Ärger, Eifersucht, Koketterie, Ratlosigkeit, Müdigkeit, Einsamkeit, psychische Belastung, das Altern, die Frustration auf. Die Bewegtheit im Äußeren, der erzählerische Duktus kann auch ganz zurücktreten; dann erscheint menschliche Körpersprache in porträthafter Starre und Bewegungslosigkeit wie eingefroren.

Die Frau in ihrer besonderen Körpersprache, als Halb- und Ganzakt, in Profil- und Seitenansichten, im Aufrecken wie im Neigen und Beugen von Kopf und Körper, in der Liebesvereinigung, im einträchtigen Beieinander von Frau und Mann wie im Kampf miteinander, steht als Sinnbild für immer wiederkehrende Grundbefindlichkeiten, für Selbstbehauptung, Verlassenheit, Bedrückung und Angst, aber auch für Gegenbilder der Hochmut, Arroganz und Gewalttätigkeit.

E.R.N.A hat körperlich-psychische Zustände mit äußerster Wahrhaftigkeit gegen sich selbst dargestellt. Es ist, als ob sie sich selbst in ihren Figuren sieht, in der geschundenen Kreatur ebenso wie im gleisnerischen Hochmut der Selbstgerechten, hinter der herablaufenden Schminke wie der undurchdringlichen Maske kann man menschliche Hilf- und Ratlosigkeit entdecken.

Augenblicke. Malerei und keramische Objekte von E.R.N.A. Kunstsammlung Lausitz, Schloss und Festung Senftenberg, Di-So 10.30-17.30 Uhr, bis 25. August. Katalog.

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