Spaniens Zugunglück: Fluch der hohen Geschwindigkeit

Die katastrophale Entgleisung trifft auch eine wichtige spanische Industriebranche

  • Ralf Streck, San Sebastian
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Eisenbahnverkehr in Spanien hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Doch es tauchen immer mehr Probleme auf.

Spanien ist eigentlich stolz auf seinen Hochgeschwindigkeitsverkehr auf der Schiene. Das Land verfügt, auch dank Subventionen aus Brüssel, mit 3000 Kilometern über das zweitgrößte Netz weltweit - in dieses sind mehr als 46 Milliarden Euro geflossen. Nur das ungleich größere China verfügt über ein noch größeres Netz. Auch Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens, wo sich am Mittwoch das fatale Zugunglück ereignete, soll irgendwann von den AVE-Hochgeschwindigkeitszügen aus Madrid angesteuert werden, die mit 350 Stundenkilometern durch das Land rasen. AVE ist die Abkürzung für Alta Velociad Española (Spanische Hochgeschwindigkeit), das Wort bedeutet aber auch »Vogel«. AVE steht daher als Symbol für einen Zug, der sprichwörtlich durchs Land fliegt.

Noch wird Santiago nicht aus der Hauptstadt vom AVE »angeflogen«. Der im Stadtteil Angrois der Hauptstadt Galiciens am Ende des Jakobswegs verunglückte Zug war ein Alvia, der »nur« Spitzengeschwindigkeiten von 240 Stundenkilometern erreicht. Er wird auf der Strecke eingesetzt, weil das Teilstück zwischen Valladolid und Ourense nicht als AVE-Hochgeschwindigkeitsstrecke ausgebaut ist. Ein AVE fährt allerdings seit eineinhalb Jahren auf der neuen Strecke zwölf Mal pro Woche zwischen Santiago und Ourense, die Auslastung liegt bei der defizitären AVE-Strecke unter 20 Prozent.

Weil auch der AVE auf der Strecke verkehrt, ist es für Experten unerklärlich, warum die Unfallstelle nicht mit einem automatischen Bremssystem ausgerüstet ist. Dieses würde überhöhte Geschwindigkeit nicht zulassen, die offenbar zum Unfall in der engen Kurve drei Kilometer vor dem Stadtzentrum führte. Der Generalsekretär der Zugführergewerkschaft SEMAF, Juan Jesús García Fraile, glaubt, der Unfall hätte sich nicht ereignet, wenn auch die letzten vier Kilometer vor dem Bahnhof mit dem ERTMS ausgestattet wären. Hier geht die AVE-Strecke in eine gewöhnliche Zugstrecke über.

Mit dem Unfall kommt ein Exportschlager nun auch wegen möglicher Sicherheitsprobleme in die Schlagzeilen. Spanien musste erst kürzlich einen Rückschlag einstecken, als die französische Regierung ihre Planungen verwarf, das Netz seiner Hochgeschwindigkeitszüge an das Baskenland und Katalonien in Spanien heranzuführen, um die Netze zu verbinden und den grenzüberschreitenden Verkehr zu stärken. Das soll nun frühestens 2030 bis 2050 geschehen. So bleibt Spaniens Netz auf Jahrzehnte eine teure Insel. Auch Portugal hat wegen der enormen Kosten den Ausbau der Verbindung zwischen Lissabon und Madrid auf Eis gelegt.

In Verruf geraten ist das spanisch Netz wegen der extremen Kosten und der niedrigen Auslastung. Die Strecke von Toledo über Cuenca nach Albacete in Zentralspanien wurde 2011 schon nach sechs Monaten eingestellt, weil täglich im Durchschnitt neun Fahrgäste sie nutzten. Etwa elf Millionen Euro kostet eine Strecke pro Kilometer. Studien zufolge benötigt man auf einer Strecke von 500 Kilometern Länge gut acht Millionen Fahrgäste im Jahr, damit sie rentabel betrieben werden kann. Auch die relativ gut ausgelastete Strecke zwischen Madrid und Barcelona kommt nicht an diese Marke heran. Das gilt auch für die am meisten benutzte Strecke von Madrid ins andalusische Sevilla. Sie war 1992 im Rahmen der Expo als erste Hochgeschwindigkeitsstrecke eingeweiht worden.

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