Gericht mit Lehrauftrag

Münchner NSU-Prozess gibt Einblicke in angeblich normale Nachbarschaften

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Gestern absolvierte der zuständige Senat des Münchner Oberlandesgerichtes den 28. Verhandlungstag gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer der rechtsextremistischen NSU-Terrorgruppe, der unter anderem zehn Morde aus zumeist rassistischen Motiven zugeschrieben wird.

In München entsteht derzeit ein NS-Dokumentationszentrum. Gebaut wird es in der heutigen Brienner Straße 34, also exakt auf jenem Gelände, auf dem sich die Zentrale von Hitlers NSDAP, das sogenannte »Braune Haus« befand. 2014 soll das Zentrum eröffnet werden.

Die Initiatoren wollen, dass ein »zentraler Lern- und Erinnerungsort« entsteht, »der als Teil eines bundesweiten Netzwerks die Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Nachwirkungen des Nationalsozialismus fördern und eine zukunftsorientierte Bildungsarbeit am historischen Ort ermöglichen wird«.

Von der Brienner Straße bis zum Münchner Justizzentrum in der Nymphenburger Straße braucht man zu Fuß vielleicht eine Viertelstunde. Dort kann man sich derzeit beim Prozess gegen mutmaßliche Terrortäter und -helfer des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) ebenfalls über »Nachwirkungen des Nationalsozialismus« kundig machen.

Zschäpe, die nette »Maus«

In dieser Woche befragte das Gericht Brandsachverständige über Zschäpes Versuch der Beweisvernichtung. Das Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 explodierte am 4. November 2011, kaum dass die beiden männlichen Mitglieder der NSU-Mörderzelle, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, in Eisenach ums Leben gekommen waren. Die drei untergetauchten Jenaer hatten gemeinsam in der Frühlingsstraße gewohnt.

Die Wohnung soll angezündet worden sein, so sagt der Generalbundesanwalt, um Beweise zu vernichten. Die Ankläger gehen davon aus, dass Zschäpe dabei den Tod anderer Hausbewohner zumindest in Kauf genommen hat. Das wäre neben schwerer Brandstiftung auch dreifacher Mordversuch. Ein Brandermittler des sächsischen Landeskriminalamtes hatte bereits am Mittwoch ausgesagt, die Folgen des Brandes seien für den Verursacher nicht beherrschbar gewesen, für Nachbarn habe daher akute Gefahr bestanden. Das allein kann 15 Jahren Haft bringen.

Gleichfalls am Mittwoch konnte man im Gerichtssaal einiges über gute Nachbarschaft vernehmen. Auch diese Aussagen können sich in die geplante Dokumentation zu Nachwirkungen der Hitlerdiktatur einreihen.

Die »Maus«, so titulierte man die nette Nachbarin Zschäpe, sei eine »liebe Nachbarin« gewesen. Die junge Frau habe gesagt, der eine Mitbewohner sei ihr Freund, der andere dessen Bruder. Beruflich würden die Männer Autos überführen.

»Wir saßen oft zusammen. Ist auch nichts Verwerfliches dran, nachbarschaftlich eben. Ist im Osten so«, belehrte ein 47-jähriger Hausmeister das Gericht samt Nebenklageanwälten. Man habe Sekt getrunken und Zschäpe spendierte auch mal eine Pizza. Über Ausländer und Politik sprach man nicht, guckte aber Fußball. Das Hitlerbild, das man bei ihm auf dem Fernsehapparat gefunden hat, stamme nicht von ihm, gab der Zeuge Auskunft. Ein Nachbar hätte ihm das gerahmte Stück vermacht. Auch bei dem habe es auf dem Fernseher gestanden. Alles normal, oder?

Grillen mit einem Angeklagten

Normal scheint zu sein, wie die nicht einsitzenden Angeklagten ihre gerichtsfreien Tage verbringen. André Eminger beispielsweise war am vergangenen Samstag Gast einer Grillparty in Obermenzing bei München. Das Fest entpuppte sich - so berichtet die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (a.i.d.a.) - als bayerische Szeneveranstaltung. »Mit Planen und Handtüchern versuchen die OrganisatorInnen und Teilnehmenden, den Platz so abzuschirmen, dass er von den am Grundstück entlangführenden Straßen möglichst wenig einsehbar ist.« Neben Eminger identifizierte man den als Rechtsterroristen verurteilten Karl-Heinz Statzberger (Markt Schwaben), die Führungskader des Freien Netzes Süd Norman K. (Nürnberg), Tony G. (Regnitzlosau-Oberprex) und Matthias B. (Karlstadt).

So ist das Haus im Münchner Stadtteil Obermenzinger auf seine sehr üble Weise auch eine Art Dokumentation zu Nachwirkungen des Nationalsozialismus.

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