Die Hoffnung besiegt den Hurrikan

Ein INKOTA-Projekt im salvadorianischen Landkreis Berlin hilft den Menschen bei der Sicherung einer gesunden Ernährung

  • Michael Krämer
  • Lesedauer: 6 Min.
Eine schlechte Nachricht kommt selten allein. Kaum war am 1. Oktober der Vulkan Ilamatepec im Westen El Salvadors ausgebrochen und hatte mehrere Gemeinden unter einer dicken Ascheschicht begraben sowie hunderte Familien obdachlos gemacht, setzte im ganzen Land ein ungewöhnlich starker Dauerregen ein. Tagelang prasselten immer größere Wassermengen auf weite Teile El Salvadors und Guatemalas. Das Wort von sintflutartigen Regenfällen nahm endgültig Gestalt an, als sich der Tropensturm Stan in einen Hurrikan verwandelte. Bäche wurden zu reißenden Flüssen, traten über die Ufer und rissen zahllose Häuser mit sich. Tausende kleinere und größere Erdrutsche zerstörten Felder, Brücken und Häuser. Mehr als 2000 Menschen starben in beiden zentralamerikanischen Ländern.

»Ohne Lernen gibt es keine Entwicklung«
Auch vor dem im Osten El Salvadors gelegenen Landkreis Berlin machte der Hurrikan nicht halt. Zuerst standen die unbefestigten Straßen unter Wasser, kleinere Erdrutsche folgten. Und als alles aufgeweicht war, gaben ganze Hänge nach. Einige Gemeinden waren tagelang von der Außenwelt abgeschnitten, andere konnten über Wochen hinweg nicht mit dem Auto erreicht werden. Doch die verschütteten Zufahrtswege waren nur das kleinere Problem, das Hurrikan Stan in der Region verursachte.
Viel schlimmer war der Schaden, den die enormen Regenmengen auf den Feldern anrichteten. Die Ernte stand kurz bevor und versprach gut zu werden. Doch da sich die Felder in Las Delicias, El Tablón und anderen umliegenden Dörfern fast alle in Hanglage befinden, wurden die Pflanzen förmlich weggespült. Was stehen blieb, begann bald zu verfaulen - es war einfach zu viel Wasser, das in diesen Tagen niederging. Zahlreiche Familien verloren ihre gesamte Ernte. Die Schäden waren enorm, dennoch hatten die Menschen in Berlin Glück im Unglück: Es waren keine Toten zu beklagen.
Als Glücksfall sehen die Bewohner in acht Gemeinden des Landkreises auch ein Projekt der Organisation für kommunale Entwicklung Procomes, das Mitte 2004 seine Arbeit augenommen hat. Mit Unterstützung des Netzwerks INKOTA aus dem deutschen Berlin soll die Ernährungssituation in diesen Gemeinden verbessert werden. Dies ist auch dringend notwendig: Noch 2003 hatte eine Untersuchung bei mehr als 60 Prozent aller Kinder leichte, mittlere oder gar schwere Unterernährung festgestellt. Der Hurrikan hat die 100 Familien, die in der ersten Projektphase dabei sind, in ihren Bemühungen um Ernährungssicherheit allerdings ein erhebliches Stück zurückgeworfen.
Doch sie geben nicht auf. Denn auch wenn sie durch Stan den Großteil ihrer Ernte verloren haben, stehen sie noch immer besser da als vor Beginn des Projekts. Eines können ihnen kein Hurrikan, kein Erdbeben und keine Dürre mehr nehmen: das Wissen, das sie sich in den letzten anderthalb Jahren angeeignet haben.
»Ohne Lernen gibt es keine Entwicklung«, weiß José Manuel Iraheta, genannt Chepe. Er ist einer der vier Landwirtschaftspromotoren des Projekts in Berlin und damit der wichtigste Ansprechpartner für 28 Familien in den Gemeinden Virginia und Muñoces. Der Vater von sechs Kindern lebt in der Nachbargemeinde El Planón und hat die Region noch nie verlassen. Als Kind besuchte er nur wenige Jahre die Schule und musste schon früh zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Man merkt ihm an, wie schwer ihm bis heute Lesen und Schreiben fallen. Von klein auf arbeitete er jedes Jahr mehrere Monate in der Kaffeeernte auf den Plantagen der Umgebung. Die Höhenlagen des Landkreises Berlin gehören zu den wichtigsten Kaffeeanbaugebieten El Salvadors. Einige wenige Großgrundbesitzer machte der Kaffee reich, doch die große Mehrheit der Bevölkerung blieb arm.
El Salvador ist eines der lateinamerikanischen Länder mit der größten sozialen Ungleichheit. Der zwölfjährige Bürgerkrieg, der Anfang 1992 mit einem Friedensabkommen beendet wurde, hat daran nichts geändert. Seither gab es einige Schritte hin zu mehr Demokratie. Die ehemalige Guerilla FMLN ist heute zwar die stärkste Kraft im Parlament und regiert in den größten Städten des Landes. Doch die wirtschaftlichen Strukturen blieben unangetastet. Die seit 16 Jahren auf nationaler Ebene regierende ARENA-Partei setzt auf Freihandel und Billigproduktion von Textilien in Fabriken, die unter miserablen Arbeitsbedingungen für den Weltmarkt herstellen. Die Mehrheit der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, lebt weiterhin in Armut. Ein Freihandelsvertrag zwischen den USA und den Ländern Zentralamerikas, der bald in Kraft treten soll, wird diese Situation noch verschlimmern: Gegen die Importe von subventioniertem Mais aus den USA können die Kleinbauern El Salvadors nicht konkurrieren.
Auch Chepes Familie blieb arm. Bis vor wenigen Jahren befand er sich in der gleichen Situation wie die meisten Männer und Frauen in den ländlichen Gemeinden des Landkreises. Doch dann veränderte sich sein Leben. Er fand Arbeit in einem Projekt einer spanischen Nichtregierungsorganisation. Nach und nach eignete er sich immer mehr Wissen an. Zum Beispiel, wie wichtig es ist, die Ernährung nicht auf die beiden Grundnahrungsmittel Mais und Bohnen zu beschränken. Auf seinem eigenen Stück Land - er hat mit rund zwei Hektar sogar eine relativ große Parzelle - baut er heute neben Mais und Bohnen verschiedenste Sorten Gemüse und Obst an. Den richtigen Anbau hat er von Procomes gelernt. Und auch, wie man den Boden in Hanglage vor Erosion schützt und wie die Pflanzen mit wenig Wasser auskommen.
Für immer mehr Familien wurde Chepe zum Ansprechpartner in landwirtschaftlichen Fragen. Heute ist er stolz darauf, für Procomes zu arbeiten. »Dieses Projekt bedeutet für uns alle ständiges Lernen. Das Schöne ist jedoch, dass bereits konkrete Veränderungen zu sehen sind«, berichtet Chepe. Damit meint er vor allem die guten Gemüseernten. Paprika, Tomaten, Gurken und Rettich bringen Abwechslung und vor allem mehr Vitamine auf den Tisch. Einige Familien verkaufen die Tomaten sogar auf lokalen Märkten und sichern sich so eine zusätzliche Einnahmequelle.

Sie sind stolz, andere unterstützen zu können
Alle am Projekt beteiligten Familien haben auch Hühner und einen Hahn für den Aufbau einer kleinen Geflügelzucht bekommen. Einige Tiere starben während des Hurrikans, doch werden diese Verluste durch die bereits überall herumlaufenden Küken und kleinen Hühner ausgeglichen. Die Kinder und Erwachsenen können nun regelmäßig Eier essen, und zu besonderen Anlässen gibt es Fleisch. Bis zu fünf Eier hat eine Familie derzeit täglich zur Verfügung - eine wichtige Ergänzung für den Speiseplan. Und wenn an manchen Tagen nicht alle Eier benötigt werden, verschenkt man sie einfach an Nachbarn. Die freuen sich, und die Projektbeteiligten sind stolz darauf, dass sie andere unterstützen können.
Auch Víctor Sánchez freut sich. Der Agrarökonom leitet das Projekt von Procomes im Landkreis Berlin und ist dabei unter anderem für die zahlreichen Weiterbildungen und die Anleitung der Landwirtschaftspromotoren zuständig. Er freut sich darüber, dass der Hurrikan den Menschen nicht den Willen genommen hat weiterzumachen. »Der große Einsatz der Familien ist ein deutliches Zeichen dafür, dass sie das Projekt zu ihrem eigenen Anliegen gemacht haben«, erklärt Víctor. »Sie sehen die Chancen, die das Projekt ihnen bietet. Und wenn sie die Möglichkeit haben, ihre Kinder und sich selbst besser zu ernähren, sind sie zu den größten Anstrengungen bereit.« Seine Idealvorstellung von diesem Projekt jedenfalls ist klar: In Berlin soll kein Kind mehr an Unterernährung leiden.

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