Ausbeutung für Billigfleisch

Die niedersächsischen Fleischindustrie gerät wegen der Behandlung von Werkarbeitnehmern zunehmend in die Kritik

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 4 Min.
Ärmliche Unterbringung, Lohndumping und Schikane. Ausbeutung durch Werkverträge sind Alltag an deutschen Schlachthöfen. Die miesen Bedingungen hierzulande setzen Arbeitnehmer europaweit unter Druck.

Mais- und Getreidefelder, Biogasanlagen und Schweinemastbetriebe prägen das Bild des Oldenburger Münsterlands. Mittendrin liegt der kleine Ort Essen/Oldenburg mit rund 8500 Einwohnern. Die ländliche Ruhe wird halbstündlich durchbrochen von Lkw, voll bepackt mit Schweinen auf dem Weg zum Schlachthof. Im Februar 2011 hat der Branchenriese Danish Crown in der niedersächsischen Gemeinde einen Schlachtbetrieb übernommen. 64 000 Schweine werden hier wöchentlich im Zwei-Schicht-Betrieb geschlachtet, 80 000 sollen es mal werden. Die Aussicht auf billige Arbeitskräfte hat Deutschland als Standort attraktiv gemacht für das dänische Unternehmen mit einem Umsatz von rund sieben Milliarden Euro.

Denn von den rund 1400 Beschäftigten sind etwa 1000 über Werkvertragsfirmen angestellt. Die Werkvertragsarbeiter kommen fast ausschließlich aus Osteuropa, angeworben in ihren Heimatländern. Versprochen wurde ihnen ein guter Verdienst, doch die Realität sieht anders aus. Zwischen drei und sechs Euro Stundenlohn bekommen sie für bis zu 14 Stunden Schwerstarbeit ausgezahlt. Abgezogen vom Lohn wird die Miete, Arbeitsmaterial und Schutzkleidung. »Menschenwürde hört an der Tür zum Schlachthof auf«, sagt der SPD-Gemeinderat Detlef Kolde, einer der wenigen, die sich im Ort für bessere Arbeitsbedingungen engagieren.

Neben dem Lohndumping ist es besonders die Unterbringung, die der Gemeinderat anprangert. Zwei Drittel der Werkvertragsarbeiter leben im Ort, der Rest ist in umliegenden Gemeinden untergekommen. Bei Schichtwechsel warten vor den Werkstoren Busse und Kleintransporter, um sie zu ihren Wohnorten zu bringen. »Bei einem ehemaligen Schulbus war die Heizung defekt und zerbrochene Scheiben lediglich mit Plastikfolie überzogen«, erzählt Kolde. »Man mag nicht glauben, dass wir uns im Landkreis Cloppenburg befinden.«

Sie leben in Mehrbettzimmern, viele der Häuser sind in einem trostlosen Zustand, bezahlt wird bis zu 170 Euro pro Person. Mietverträge werden nicht geschlossen, der Gemeinderat spricht von »eindeutig sittenwidrigen Vermietungen«. Auch mitten im Ort gibt es mehrere Häuser, in denen Arbeiter und Arbeiterinnen untergebracht sind: Wo früher ein Fotoladen, eine Apotheke oder die örtliche Bäckerei waren, sind heute die Fenster verhängt und bis zu 50 Namen stehen an den Haustüren. Der Einzelhandel hat den Kampf gegen die Supermärkte in vielen Gemeinden Niedersachsens verloren, dass hier jetzt Profit mit überzogenen Mieten gemacht wird, ist eine Folge davon.

Wer sich wehrt, fliegt aus der Wohnung und wird zurückgeschickt. Auch Beschäftigte, die ausstehenden Lohn eingefordert haben, waren »plötzlich« in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Und wer krank wird oder einen Arbeitsunfall hat, kann schon am nächsten Tag im Kleinlaster sitzen. »Die Leute leben in ständiger Angst. Sie wollen nicht zurück, weil sie hier trotz Ausbeutung das vier- bis fünffache an Lohn verdienen«, sagt Kolde. Der Sozialdemokrat will auch nicht, dass die Werksarbeiter und Werksarbeiterinnen zurückgeschickt werden. Aber anständig bezahlt und untergebracht werden sollen sie und so eine Perspektive für sich und ihre Familien entwickeln können. Kolde fordert deshalb eine Zertifizierung, mit der die Schlachthöfe verpflichtet werden, soziale Standards wie angemessene Unterbringung und Bezahlung auch bei Vergabe an Subunternehmen einzuhalten.

Danish Crown ist nur einer der Betriebe der Fleischbranche, die zunehmend in der Kritik stehen. Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) kämpft seit Jahren gegen die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in der Branche. Angesichts des steigenden Drucks durch die Öffentlichkeit hat die Gewerkschaft einen erneuten Versuch unternommen, einen Flächentarifvertrag für die Fleischwirtschaft zu verhandeln und fordert die Aufnahme in das Arbeitnehmerentsendegesetz. In Niedersachsen haben sich mittlerweile auch Vertreter der Katholischen Kirche eingemischt und sprechen von »Verhältnissen wie im 19. Jahrhundert«.

Der Niedriglohn in Deutschland verstärkt zudem den Druck auf europäische Beschäftigte. In Dänemark, dem Mutterland von Danish Crown, sollen nach Angaben des europäischen Dachverbandes der Nahrungsmittelgewerkschaften EFFAT in den vergangenen Jahren bis zu 14 500 Arbeitsplätze verlagert worden sein, nachdem sich die dänische Gewerkschaft geweigert hatte, 20 Prozent Lohnkürzungen hinzunehmen. Belgien, wo der Mindestlohn in Schlachtereien bei 12,88 Euro liegt, hat angekündigt, eine Anti-Dumping-Klage gegen Deutschland bei der EU einzureichen.

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