Nackt im Wald mit einem Messer

Die Doom-Jazzer Bohren und der Club of Gore spielen am Freitag in Berlin

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.
Ereignisarmut in der Finsternis: Bohren und der Club of Gore
Ereignisarmut in der Finsternis: Bohren und der Club of Gore

Wie äußerte sich ein Mitglied von Bohren einmal vor etlichen Jahren auf einem Konzert der Band? »Wir sind Bohren und der Club of Gore«, sagte seinerzeit eine der kaum wahrnehmbaren Gestalten, die sich in der auf der Bühne herrschenden Finsternis abzeichneten, nach dem ersten Stück. »Wir spielen noch sechs Stücke, die sehr ereignisarm sind.«

Die 1988 in Mülheim an der Ruhr gegründete Gruppe, die in ihren Anfangstagen eine Vorliebe für den Heavy Metal hatte, ist seit Mitte der 90er Jahre intensiv mit der Entdeckung der Langsamkeit beschäftigt und erforscht mit ihren Instrumenten die Dehnbarkeit der Zeit. 1993 praktizierten die minimalistischen Doom-Jazzer von Bohren & der Club of Gore noch einen scheppernden, schleppenden Trash-Blues voller Hallräume, was auf angenehme Art schratig war. Später modifizierte man den Rumpelsound und schliff die rauhen Kanten etwas ab. Manchmal erschöpfte sich das Schlagzeug in einem ersterbenden Rascheln oder Schaben. Sonst passierte nicht viel. Eine befreiende Ereignislosigkeit machte sich breit. Man verfeinerte den Sound zu einem elegischen, zerdehnten Suizidblues von vollendeter Eintönigkeit und verdunkelte gleichzeitig das Band-Image: Totenkopfsymbolik, Großstadteinsamkeit und Nachtschwärze, kiloschwere Melancholie. Alles geht seinen Gang, zum Ende hin. »Auch wir lieben den Frühling. Auch wir legen dann frische Blumen aufs Grab.«

Tatsächlich haben die Musiker von Bohren über all die Jahre hinweg erfreulicherweise viel Charakteristisches an ihrer abgründigen Ambient-Barmusik beibehalten: erhaben daherkommendes Dunkelheitsraunen, vereinzelte Vibraphon-Klangtupfer, ein ebenso karger wie warmer Sound.

Jens Balzer nennt diesen samtigen Zeitlupenjazz, der schwer an die Filmscores von David Lynchs Hauskomponist Angelo Badalamenti erinnert, einen »Softrock, den man sich gut auch als Dinner-Begleitung in einem Gothic-Restaurant vorstellen könnte; bloß dass es in diesem Restaurant keine Salatteller gibt, sondern Blut- und Zungenwurstgerichte«.

Auf einigen der Alben von Bohren und der Club of Gore nahm die Entschleunigung ein Ausmaß an, das verblüffte. Nahezu perfektioniert wurde das virtuose Spiel mit der Stille: verlorene Töne ächzen leise von irgendwoher, ein leises Wimmern im Nirgendwo, ein lebensmüdes Saxophonschnarren zwischen langen Pausen der Stille, die gewissermaßen als zentrales Moment der Musik in diese integriert ist. Kein Ton ohne Stille. Der Begriff Minimalismus hat seine Berechtigung, wenn es um die Charakterisierung dieser schwermütigen Nachtmusik geht.

Der Bassist/Organist der Band, Morton Gass, sagte einmal den Satz: »Ich denke, wenn wir einen bestimmten Song spielen, auch manchmal an einen Mann, der nackt mit einem Messer in der Hand durch den Wald läuft, und manchmal denke ich eben einfach an eine nächtliche Autofahrt.« Das ist doch schön. Dann passt ja alles ganz wunderbar zusammen.

Bohren und der Club of Gore. Konzert im Heimathafen Neukölln, 2. August, 20 Uhr. Karl-Marx-Straße 141, 12043 Berlin.

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