Ein Friedhof wird beerdigt

Weil Sachsen ihr Erhalt zu teuer ist, sollen sowjetische Soldatengräber in Dresden verschwinden

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.
Jana Borisowa wurde 1987 beerdigt - als letzte auf dem Garnisonfriedhof.
Jana Borisowa wurde 1987 beerdigt - als letzte auf dem Garnisonfriedhof.

Jana Borisowa ist kurz vor dem Waldrand beerdigt. Nur anderthalb Monate lebte das Mädchen, dann mussten die Eltern und ihre Schwester es im September 1987 auf den Friedhof an der Dresdner Heide tragen. »Schlaf in Frieden, unser Töchterchen«, ließen sie auf die Grabplatte aus rotem Löbejüner Porphyr schreiben, die im Grabfeld D in Reihe 10 liegt. Die Beerdigung des Kindes war die letzte auf dem Garnisonfriedhof der Sowjetarmee in Dresden, 43 Jahre nach dessen Errichtung, fünf Jahre vor Abzug der sowjetischen Truppen auch aus Sachsen.

Wie lange der Stein noch an das Grab des Kindes erinnert, ist offen. Der Freistaat Sachsen, in dessen Eigentum sich der gut zwei Hektar große Friedhof seit 1996 befindet, will diesen in Teilen umgestalten. In einem Abschnitt, in dem jetzt Grabsteine, Platten und Säulen zwischen Hecken an über 800 verstorbene Soldaten und Offiziere sowie Frauen und Kinder erinnern, soll Gras wachsen. Nur Tafeln am Rand sollen an die Toten erinnern. Es solle »ein Gedenkhain und Platz der Ruhe entstehen«, erklärt der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB), der die Fläche verwaltet. Der Friedhof solle, warnt dagegen ein »Freundeskreis Sowjetischer Garnisonfriedhof Dresden« in einem offenen Brief, »stillschweigend und möglichst unbemerkt von der Öffentlichkeit beräumt« werden.

Der Teil des Friedhofes, um den gestritten wird, liegt hinter hohen Hecken aus Thuja verborgen. Offiziell wird er als »Zivilteil« bezeichnet - was grob irreführend ist, sagt Gisela Wedekind vom Freundeskreis, die nur vom »Nordflügel« spricht. Zwar sind neben Jana Borisowa dort 160 Kinder und viele Frauen bestattet. Die meisten Toten aber sind Soldaten, »oft junge Männer knapp über 20«, so Wedekind. Was sie von ihren Gefährten im vorderen Teil des Friedhofes unterscheidet, ist der Zeitpunkt des Todes: Sie starben nach dem 31. März 1952 - und zählen daher nicht mehr als Kriegstote. Den Stichtag nennt ein Abkommen, in dem sich Deutschland und Russland im Dezember 1992 über den Umgang mit Kriegsgräbern einigten. Artikel 3, Absatz 3 legt fest, dass die Bundesrepublik »die Erhaltung und Pflege« russischer Kriegsgräber auf ihrem Territorium gewährleistet - und zwar »auf ihre Kosten«. 1994 wurde die Regelung in ein Gesetz gegossen.

Seither überweist der Bund den Ländern und Kommunen Geld, um die Gräber der bei der Befreiung gefallenen oder an den Kriegsfolgen gestorbenen Sowjetsoldaten zu pflegen. Gezahlt werden 16 Euro im Jahr pro Einzelgrab und 5,50 Euro je Quadratmeter im Sammelgrab. Viel scheint das nicht zu sein - gemessen am Zustand des Friedhofes in Dresden. Die Anlage, errichtet wie ähnliche Friedhöfe in Halle und Schwerin, Güstrow oder Gotha aufgrund des SMAD-Befehls 117 von April 1946, wirkt zwar auf den ersten Blick aufgeräumt: Die konischen Steine, die an 1336 Kriegstote erinnern, stehen aufrecht und geordnet; gleiches gilt für den Obelisken und die 1957 hinzugefügte Plastik eines Fahnenträgers. Auf den Wegen aber sprießt Unkraut; Gras wurde zwischen den Grabreihen seit Wochen nicht gemäht, und Heidebüsche, die bereits vor zwei Jahren erfroren sind, wurden noch immer nicht ersetzt.

Das freilich ist nichts im Vergleich zum Nordflügel, wo gut 800 nach 1952 Verstorbene beerdigt sind und für dessen Unterhalt der Freistaat allein aufkommen muss. Er gleicht einem Labyrinth aus übermannshohen Hecken und Büschen. Grabplatten sind im wuchernden Gras kaum noch zu entdecken; Wege lassen sich allenfalls erahnen. Immerhin wühlen, anders als früher, nicht mehr die Wildschweine in den Grabfeldern. Sie werden jetzt von einem soliden Zaun ferngehalten, den der SIB hat errichten lassen. Zu mehr reichte es augenscheinlich nicht. So räumt auch SIB-Sprecherin Andrea Krieger auf Nachfrage ein, dass der Garnisonfriedhof sich derzeit in einem »untragbaren Zustand« befinde und Änderung Not tut.

Wie diese aussehen könnte, ist zwischen dem Staatsbetrieb und dem Freundeskreis umstritten. Letzterer möchte den Friedhof in seiner jetzigen Form erhalten. Es handle sich um einen »unverzichtbaren« Fundus für historische Forschungen; zugleich könne die Grabstätte »Mahnung, Information und Aufklärung« bieten, heißt es in dem Offenen Brief. 2010 wurde der Nordflügel unter Denkmalschutz gestellt - weil er an die lange Präsenz der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland erinnere.

Um den Friedhof wieder in einen ansehnlichen Zustand zu versetzen, baut der Freundeskreis auf ehrenamtliches Engagement - wie in der Vergangenheit, als zweimal jährlich quasi ein Subbotnik stattfand. So könnten das Gras gemäht, die Hecken auf ein erträgliches Maß gestutzt und Geländer gestrichen werden, sagt Wedekind. Der Freundeskreis hatte dazu schon tatkräftige Hilfe organisiert: Schüler der benachbarten Bundeswehr-Offiziershochschule hatten Unterstützung zugesagt. Der SIB untersagte jedoch den Arbeitseinsatz.

Dort setzt man auf einen klaren Schnitt - eine »parkähnliche« Anlage ohne Grabsteine, ohne Hecken und ohne Geländer. Nur Informationstafeln sollen die Lage der einzelnen Gräber noch erkennen lassen. Offiziell verweist man darauf, dass sich die Treppen und Wege in »nicht verkehrssicherem Zustand« befinden. Sollte das geändert werden, würde eine Sanierung für geschätzt eine Million Euro fällig, erklärt Krieger. Der Freundeskreis bezweifelt diese Zahl. Die Treppen kippeln nicht und bergen keine erhöhte Sturzgefahr, sagt Wedekind: »Ein fadenscheiniges Argument.«

Eigentlicher Grund für die Umbaupläne, vermutet sie, sind Kosten und Mühe der Pflege. Diese sei, räumt der SIB ein, »aufgrund der Einzelgräber und der detaillierten Strukturen aufwendig«. In Zukunft, heißt es an anderer Stelle, solle eine »pflegeextensive« Anlage entstehen. Diese soll Kosten von nur noch 4000 Euro im Jahr verursachen; jetzt seien es bei einem »Minimum an Pflege« 8000 Euro. Der Umbau würde freilich 300 000 Euro kosten - was sich nur rechtfertigen ließe, wenn die Sanierung der Treppen unumgänglich wäre, wie vom Staatsbetrieb behauptet. Die Kritiker können das nicht nachvollziehen, weil eine entsprechende Analyse nicht öffentlich ist und zwischen SIB und Freundeskreis seit längerem faktisch Funkstille herrscht. Die Kritiker merken an, der geplante Umbau beginne sich »betriebswirtschaftlich in 80 Jahren zu rechnen«, und werfen dem Staatsbetrieb vor, Steuergeld zu verschwenden.

Während die Umbaugegner mit ihrem Offenen Brief und Aktionen wie einer Mahnwache versuchen, das Projekt doch noch zu stoppen, hat dieses entscheidende Hürden bereits genommen. Die wichtigste ist das Einverständnis Russlands. Dieses einzuholen, sei eine »Geste der Völkerverständigung«, sagt die SIB-Sprecherin und fügt an, eine »grundsätzliche Zustimmung« zu den Plänen liege seit Frühjahr vor. Vorangegangen war ein Gespräch mit Vladimir Kukin, dem Beauftragten für Gräberfürsorge in der russischen Botschaft. Über Motive der russischen Seite rätselt man im Freundeskreis. Hingewiesen wird aber auf den Umstand, dass viele der Soldaten auf dem Nordflügel, von denen der letzte 1973 beerdigt wurde, auffällig jung waren. Manche starben, so vermutet man, »nicht nur an den harten, oft von Hunger und schwerster Arbeit geprägten Lebensbedingungen in den Kasernen, sondern auch aufgrund systematischer Misshandlungen durch ältere Soldaten und Offiziere« - ein Umstand, auf den man auch im heutigen Russland nur ungern Aufmerksamkeit lenkt.

Sein Einverständnis erteilt hat zudem der Volksbund, der mit der Pflege der Kriegsgräber betraut ist - auch wenn die Umstände merkwürdig anmuten. Obwohl an der Basis in Dresden eine gegenteilige Meinung vertreten wird, stimmte zunächst der Landesgeschäftsführer zu, der später abgelöst wurde. Auch die Bundesspitze billigte die Pläne, weshalb Sachsens Finanzminister Georg Unland (CDU) nun von einem »für alle Seiten tragbaren Kompromiss« sprechen kann. Der Freundeskreis, der unter dem Dach des Volksbundes arbeitet, hat dazu indes eine andere Meinung.

Hoffnungen der Umbaugegner ruhen nun nur noch auf öffentlichem Druck - und auf dem Denkmalschutz. Im November 2011 erklärte Unland, »inwieweit die Planungen aufgrund der festgestellten Denkmaleigenschaft ... noch umgesetzt werden können, kann derzeit nicht beurteilt werden«. Derzeit, heißt es jetzt beim SIB, bemühe sich der Freistaat um die entsprechende Genehmigung.

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