Die »Einstellung«

  • Roberto De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.

Mein Vater war ein spanischer Gastarbeiter. Er hatte es mit Verachtung im Alltag zu tun und regelmäßig fragte ein Zeitgenosse überdosiert höflich, ob er denn mit Eintritt in die Rente wieder heimgehe. Er litt zuweilen sehr darunter. Nach über dreißig Jahren in Deutschland verwehrte man ihm immer noch, dass er Deutschland als seine Heimat ansehen durfte. Damals sei die Einstellung gegenüber Gastarbeitern eben so gewesen, entschuldigt man Kohls einstiges Vorhaben zur Türkenhalbierung.

Diese Erklärung sagt auch, dass diese Einstellung heute kein Thema mehr sei. Und sie vertuscht das integrative Versagen der politischen Kaste. Wallraffs Buch »Ganz unten«, erst drei Jahre nach Kohls Ausspruch über die Rückführung der Türken erschienen, ist besonders empfehlenswert, um mehr über die deutsche Denke jener Tage zu erfahren. Als Türke »verkleidet« konfrontierte man Wallraff mit »Adolf« und allerlei anderen Feindseligkeiten.

Dass sich ehemalige Gastarbeiter und ihre Familien, die dieses Klima erlebt haben, bis heute schwer tun mit den Deutschen, kann man ihnen nicht nachtragen. Wer als Gastarbeiterkind in einem solchen Klima sozialisiert wurde, wird auf die Stimmen und den Hass von damals immer wieder zurückgeworfen. Was ich in jenen Jahren als Kind eines Spaniers sah und spürte, hat mich geprägt und bestimmt meine Sichtweise noch heute. Mir bleibt daher nichts anderes übrig, als empfindlich zu reagieren, wenn die Leitkultur ihre Ansprüche anmeldet.

Das Wort »Integration« ist mir als Gastarbeiterkind immer widerlich gewesen. Miteinander leben reicht in diesem Land anscheinend nicht aus. Nicht eingedeutschte Verhaltensweisen sind gleich immer Normen einer Parallelgesellschaft. Wer als Kind begriffen hat, dass es und und seine Eltern hier nicht willkommen sind, der blockt automatisch beim Wort »Integration« ab, denn er muss es zwangsläufig als Kampfbegriff deuten.

Ist diese »Einstellung«, wie sie es jetzt nennen, weg? Was ist heute anders? Als der Islam, damit vor allem die Türken, kurzzeitig qua bundespräsidialer Agenda zu Deutschland gehören sollte, da gab es doch auch »Einstellung« - oder etwa nicht?

Die »Einstellung« gegen Türken und Ausländer hat sich tatsächlich verändert. Heute ist sie mit politischer Korrektheit ausgestattet. »Kümmeltürke« sagt heute keiner mehr. Man spricht heute pädagogisch davon, dass die Türken, die »zu uns kommen«, weniger intelligent seien. Das sagte man früher auch, aber viel derber, da ärgerte man sich über die »Kameltreiber, die nichts können«. Heute spricht man vom unterdurchschnittlichen IQ. Ob das Fortschritt ist, sei mal dahingestellt.

Ich glaube, es ist eher das Gegenteil. Die Fremdenfeindlichkeit gibt sich weltläufiger und weniger verstammtischt, sie ist nicht mehr eine »Einstellung« für die, die ihr kaltes Herz auf der Zunge tragen, sondern eine, die man mit schlagfertigem Kalkül betreibt. Die Ausländerfeindlichkeit ist aber keineswegs überwunden, nur weil man sie heute feiner bedient.

Vom Konsens der damaligen Bonner Republik, bis hin zum heutigen Gejammer, dass Integration hierzulande nicht gelinge (sprich: dass die Leitkultur einfach nicht angenommen würde), verläuft ein roter Faden. Dass heute immer noch über Menschen fremder Herkunft gesprochen wird, wie über fremde Einsprengsel im deutschen Kollektiv, ist als ein Versagen der politischen Klasse, gestern wie heute, einzuordnen. Vielleicht war das damals einfach die Einstellung. Okay, stimmt ja auch. Aber dann gehört dazu, dass man sich auch eingesteht, für viele negative Entwicklungen die Mitverantwortung zu tragen.

Es gehört insbesondere zur Lebensleistung der geistig-moralischen Wender, die alten Affekte (die »Einstellung«) nicht geistig-moralisch gewendet, sondern kleinkariert weiterbedient zu haben. Hier hat die allgemeine Ausländerfeindlichkeit ihre politische Legitimation rekrutiert, haben »Befreiungstaten« wie in Lichtenhagen, Mölln und Solingen ihre geistige Basis und letztlich auch der rechte Terrorismus seine geistige Heimat zu verorten.

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