US-»Platform« entwickelte sich zum Hightech-Programm

Alte EU-Papiere mit aktuellen Forderungen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Am 5. Juli 2000 hatte das EU-Parlament einen nichtständigen Ausschuss eingesetzt, um sich gegen die globale Schnüffelsucht der NSA zu wehren. Das kann an der rot-grünen Koalition wie an deren Kanzleramtschef Steinmeier nicht vorbeigegangen sein.

1948 unterzeichneten Großbritannien (UK), die USA sowie Australien, Kanada und Neuseeland das sogenannte UKUSA-Abkommen. Es war der Grundstock eines weltweiten Spionage-Lauschprogramms. Doch allein konnte man nicht erreichen, was strategisch geplant war. Man war darauf angewiesen, dass andere Staaten Gastrechte für weitere Abhörstationen einräumten. Bad Aibling in Bayern ist ein Beispiel dafür. Die 1952 gegründete NSA bezog dann andere Dienste in das System ein. Deutschland, Japan, Norwegen, Südkorea und die Türkei wurden unter anderem damit geködert, dass deren Behörden an den so in Gemeinschaft gewonnenen Informationen teilhaben könnten.

Anfang der 80er Jahre waren 52 Supercomputer - die sogenannte Platform - eingerichtet, um Nachrichten zu entschlüsseln und zu verarbeiten. Man verband die UKUSA-Stationen und integrierte alles in die »Platform«. Codename: ECHELON. Mit Hilfe dieses Systems kontrollierte man nicht nur militärischen Datenaustausch, sondern drang tief in ökonomische und in eigentlich extrem schützenswerte persönliche Bereiche von jedermann ein. Die verbundenen Nachrichtendienste halfen sich gegenseitig - so dass man zumindest dem jeweiligen nationalen keine Rechtsverstöße nachweisen konnte. In den EU-Papieren ist beispielsweise nachzulesen, dass der jetzt auch am Pranger stehende britische GCHQ den kanadischen CSE bat, zwei englische Minister auszuspionieren. Premierministerin Margret Thatcher wollte wissen, ob sie sich auf die Beiden verlassen könne. Der Wert »der engen Zusammenarbeit«, so schrieb das britische Pendant des deutschen Parlamentarischen Kontrollgremiums im Jahresbericht 1999/2000, habe sich auch gezeigt, »als die US-Ausrüstung der National Security Agency (NSA) zusammenbrach und für drei Tage sowohl US-Klientel als auch GCHQ›s normale UK-Klientel direkt von GCHQ bedient wurden«.

Damalige Qualitäten sind durch technologische Quantensprünge inzwischen weitaus gigantischer. Geblieben ist die damalige Feststellung des EU-Parlamentsausschusses, dass »ein nachrichtendienstliches System, das wahllos und dauerhaft jedwede Kommunikation abfangen würde, einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip darstellen würde und mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar wäre. Schon damals wurde kritisiert, dass die Grundsätze, nach denen US-Dienste im Ausland tätig werden, großteils klassifiziert sind. Man forderte Washington auf, das Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu unterzeichnen, damit Individualbeschwerden gegen die USA möglich werden.

Der Bericht des EU-Ausschusses wurde am 11. Juli 2001 veröffentlicht. Zwei Monate später flogen Flugzeuge in die Twin Towers und ins Pentagon. Danach hatte nicht einmal Frank-Walter Steinmeier (SPD) einen Nerv für so etwas Banales wie Menschenrechte.

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