Wie viele Opfer rechter Gewalt?

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In Brandenburg starben seit 1990 laut offizieller Statistik neun Menschen als Opfer rechtsextremer Gewalt. Das erste Opfer war der Angolaner Amadeu Antonio, der 1990 von Rechten zu Tode geprügelt wurde. Über die Zahl der weiteren Opfer wird gestritten. In Brandenburg versuchen jetzt Wissenschaftler des Moses-Mendelssohn-Zentrums im Auftrag des Innenministeriums, die Diskrepanz zwischen der offiziellen Statistik und den mehr als 30 Opfern nach Zählung von Opferverbänden und Initiativen aufzuklären. Der Politikwissenschaftler Christoph Kopke leitet das Forschungsprojekt.

● Herr Kopke, womit erklären Sie sich die Diskrepanz bei den Opferzahlen?

Es ist im Einzelfall objektiv schwierig, Taten eindeutig als rechtsextrem zu bewerten. Gerade in den 1990er Jahren taten sich Gerichte mit Bewertungen oftmals schwer. Zivilgesellschaftliche Initiativen achteten sehr sensibel auf ausländerfeindliche, rassistische oder rechtsextreme Begleitumstände. Diese Sensibilität war bei Ermittlungsbehörden und Justiz nicht immer angemessen ausgeprägt. Zudem waren die Kriterien zur Bewertung politischer Straftaten nicht genug ausdifferenziert.

● Wie hat sich die Bewertung mittlerweile verändert?

Vor Reform der Erfassungskriterien wurden vorwiegend Taten dann politisch bewertet, wenn sie sich erkennbar gegen Staat und Gesellschaftsordnung richteten. Äußerte sich der Täter aber nicht deutlich politisch, etwa durch Rufen entsprechender Parolen, fiel sie nicht darunter - egal, ob er als Neonazi stadtbekannt war und das Opfer einem rechten Feindbild entsprach. Pauschale Kritik an den Ermittlern ist aber falsch. Auch in anderen Bundesländern weichen die Zahlen zwischen Polizeistatistik und unabhängigen Beobachtern erheblich voneinander ab.

● Gibt es mittlerweile klare Definitionen, was eine rechtsextreme Gewalttat ist?

In der Regel sind es keine Taten, bei denen organisierte Täter zielgerichtet vorgehen, die Begegnungen sind oft zufällig. Das spätere Opfer wird etwa als »Ausländer« ausgemacht oder als »Zecke« beschimpft, wie man Linke in der rechten Szene nennt. Belanglose Auseinandersetzungen können schrecklich eskalieren. Der Zusammenhang zum Rechtsextremismus besteht darin: die Täter haben rechtsextreme Einstellungen, sind grundsätzlich gewaltbereit und viele bezeichnen sich selbst als rechts.

● Wie gehen Sie mit Ihrem Team nun vor?

Wir beginnen mit der Durchsicht aller überlieferten Vorgänge, die von Gerichten oder Staatsanwaltschaften vorliegen. In Einzelfällen können das zwei Waschkörbe voll Akten sein. Dazu kommen Pressebeiträge. Ob wir auch Angehörige oder Zeugen direkt befragen, wird sich zeigen. Die Konfrontation mit den Taten in den Akten gibt zum Teil einen bedrückenden Einblick in die Brutalität der Täter. Für die Angehörigen und das Umfeld der Toten ist es wichtig, den Grund für die Tat zu erfahren. Gerade auch dann, wenn sie jahrelang auf einen rassistischen Umstand hinwiesen und nicht gehört wurden.

Fragen: Gudrun Janicke, dpa

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