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Die »Kleine Pyramide« in Oberägypten fördert arme Familien

  • Gesa von Leesen
  • Lesedauer: 7 Min.
In einem kleinen Dorf am Nil hat die deutsche Hilfsorganisation Kleine Pyramide ihr neues Gebäude. 700 Kinder, davon 100 mit Handicap, werden in Gezira el Bairat betreut.

Kerim konzentriert sich. Seine rechte Hand umklammert einen Bleistift. Hoch, runter, hoch zieht er die Linien in dem Schulheft - genau: Das ist das N.

Kerim ist zehn Jahre alt, er lebt auf der Westbank von Luxor, Oberägypten. Jede Woche kommt er in die Kleine Pyramide, eine private, deutsche Hilfsorganisation, um Englisch zu üben. Neben dem Jungen steht Hind. Die 23 Jahre alte Lehrerin korrigiert Kerim, wenn der Aufwärtsstrich zu schief, zu lang oder zu kurz wird. Seitenweise schreibt Kerim seine Ns, Ms, Ps. »Er ist ein cleverer Junge«, sagt Hind und streichelt Kerim über den Kopf. Sie freue sich immer sehr, wenn er Fortschritte macht.

Die Kleine Pyramide ist ein Verein, wurde 1998 in Trier gegründet und betreibt seit 2007 ein Kinder-, Therapie- und Ausbildungszentrum in Gezira el Bairat. Das Dorf am Nil liegt gegenüber der bekannten Altertumsstadt Luxor. Von hier blickt man auf den Luxortempel und auf Massen von Kreuzfahrtschiffen, die in Luxor ihre Touristenströme ausspucken. Jedenfalls, wenn Touristen kommen. Seit der Revolution im Januar 2011 allerdings liegen viele der Kreuzfahrtschiffe leer am Kai. Obwohl die Menschen in Luxor nicht zu Aufständen neigen, Wert auf Ruhe legen, ist der Tourismus eingebrochen.

Mit Demonstrationen machten die Luxorianer erst vor einigen Monaten von sich reden. Da hatte die Mursi-Regierung den dortigen sehr beliebten und weltlich eingestellten Gouverneur Ezzat Saad abgesetzt und den Radikal-Islamisten Adel Asaad al Chajat eingesetzt. Das kam nicht gut an in dieser Stadt, die von Touristen lebt und in der laut Saad 40 Prozent Christen wohnen. Vor allem Touristikarbeiter demonstrierten so lange, bis der Extremist aufgab. Nun warten alle auf einen neuen Gouverneur, der die Stadt versteht. Seitdem ist es ruhig, berichtet Ingrid Wecker. »Nur nachts werden manchmal Tankstellen überfallen, weil Benzin fehlt.« Außerdem stünde überall Militär und sorge für Sicherheit. Wecker: »Hoffen wir, dass das so bleibt.«

Ingrid Wecker ist die Chefin der Kleinen Pyramide. Die 56-Jährige stammt aus Trier, war Redakteurin und Pferdewirtschaftsmeisterin. Das Reiten ist ihrem Rücken auf Dauer nicht bekommen, sie musste vorzeitig in den Ruhestand gehen. Doch ruhig geht es bei ihr nie zu. Vor mehreren Jahren kam sie nach Luxor, um in mildem Klima ihre Gesundheit zu pflegen. Auf Dauer war das langweilig. Als die Kleine Pyramide eine neue Leiterin suchte, geriet Ingrid Wecker an eine Aufgabe, in der sie ehrenamtlich aufgeht. Die Kleine Pyramide vermittelt Patenschaften - 25 Euro im Monat - für arme Familien in Luxor und Umgebung. Zurzeit werden hier 209 Familien mit etwa 700 Kindern von 195 Paten betreut. Von den 700 Kindern sind etwa 200 Halbwaisen, 100 sind behindert. Behindert und arm - das ist ein hartes Schicksal in einem Entwicklungsland wie Ägypten. Es gibt kaum Fördermöglichkeiten, kaum Betreuung, kaum Hilfe für die Familien.

Von medizinischer Hilfe zur Alphabetisierung

Wecker: »Die Hälfte unserer Mütter ist alleinstehend. Viele müssen von 120 ägyptischen Pfund Sozialhilfe im Monat leben.« Das entspricht etwa 13 Euro und reicht auch in Ägypten nicht zum Überleben aus. Wenn die Ehemänner nicht gestorben sind oder sich scheiden ließen, sondern einfach das Weite gesucht haben, bekommen die Frauen vom Staat überhaupt nichts. »Mädchen haben hier in der Regel keine Ausbildung, die meisten können gerade mal ihren Namen schreiben - das heißt, sie finden keine Arbeit«, berichtet sie. Und so hat die Pyramide ihr Hilfsprogramm in den vergangenen Jahren kontinuierlich erweitert. Zunächst standen behinderte Kinder im Mittelpunkt, für die ärztliche und pflegerische Hilfe organisiert wurde. Heute gibt es für die Patenkinder Hausaufgabenhilfe, Alphabetisierungskurse werden angeboten, Mütter lernen Nähen, damit sie etwas Geld verdienen können.

In einem großen Raum der Kleinen Pyramide sitzen an diesem Nachmittag vier Frauen an einem langen Tisch und machen genau dies: Nähen. Taschen, die über die Kleine Pyramide verkauft werden, Kinderkleidung, Tischdecken. Imen ist die Chefin, sie erklärt den anderen Frauen den richtigen Umgang mit Nadel, Faden und Nähmaschine. Fatma, Saydan und Mona lächeln freundlich, die junge Lehrerin Hind übersetzt, was sie erzählen. Auf Englisch erklärt sie: »Es ist gut für die Frauen, hierher zu kommen und zu nähen. Sie nähen für sich, für ihre Kinder und Nachbarn. Außerdem kommen sie so mal raus von zu Hause, können reden, sind nicht nur mit Kochen und Putzen beschäftigt.« Die 20 bis 28 Jahre alten Mütter lernen in der Kleinen Pyramide zudem arabisch und englisch. Hind: »Das ist wichtig, dann können sie ihren Kindern in der Schule helfen.« Die jungen Mütter vereint ihr Ehrgeiz: Sie wollen, dass ihre Kinder eine Chance auf eine gute Ausbildung haben. Und zwar nicht nur die Jungs, sondern auch die Mädchen.

Mädchen und Frauen zu unterstützen, liegt Ingrid Wecker besonders am Herzen. So hat sie bewusst darauf geachtet, dass Frauen in der Kleinen Pyramide arbeiten. Denn: »In einem islamischen Land ist das für Frauen nicht einfach. Traditionell gehören sie ins Haus, in die Familie. Hier auf dem Land, wo man konservativ und abergläubisch ist, sowieso.« Weil die Jung-Rentnerin das gerne ändern möchte, hat sie ihren jungen Kolleginnen von Anfang an klar gemacht: »Wenn Ihr heiratet, arbeitet hier weiter! Und wenn Ihr Kinder bekommt, dann arbeitet Ihr auch weiter und bringt die Kinder mit. Das kriegen wir schon hin.« Zaynab hat es genau so gemacht. Die Sozialarbeiterin bringt ihren kleinen Sohn Amr mit zur Arbeit, schließlich ist es egal, ob nun vier oder fünf Kinder in der Spielecke des Näh- und Lernzimmers Bauklötze aufeinanderstapeln.

Das Lachen der Kinder ermuntert

Die rechte Hand von Ingrid Wecker ist Ahmed Ammar. Der 45-Jährige spricht deutsch und englisch, hat in den großen Hotels in Hurghada gearbeitet, war Empfangschef auf einem Kreuzfahrtschiff. »Da habe ich gutes Geld verdient«, erzählt er. Als eines der Vorstandsmitglieder der Kleinen Pyramide ihn fragte, ob er nicht in der Hilfseinrichtung arbeiten wolle, überlegte er lange, schließlich sagte er zu. »Ich wollte etwas Neues lernen. Im Tourismus ist es auf Dauer immer das Gleiche. Die Arbeit hier in der Kleinen Pyramide ist schön, wenn auch anstrengend. Aber wenn man die Kinder dann lachen sieht, dann sind wir froh. Wir haben so viele arme Kinder in Ägypten, sie brauchen Hilfe. Hier auf der Westbank des Nils können wir wenigstens einigen dieser Kinder und ihren Familien helfen.« Nun, da die Touristen ausbleiben, ist Ammar doppelt froh über seine jetzige Arbeit.

Im Physiotherapieraum hat inzwischen ein weiterer Sozialarbeiter angefangen, mit einem kleinen gehbehinderten Jungen Krankengymnastik zu machen. Auch das gehört zum Hilfsprogramm. Ein ägyptischer Arzt kommt regelmäßig vorbei, untersucht die Kinder, bringt den Sozialarbeiterinnen und Müttern bei, wie sie ihre behinderten Kinder fördern können. Vorbehalte gegenüber Behinderten gebe es zwar nicht, erläutert Ingrid Wecker. »Die Kinder werden liebevoll betreut und in der Gesellschaft nicht ausgegrenzt. Aber die meisten Familien sind so arm, dass sie ihren behinderten Kindern kaum helfen können und öffentliche Einrichtungen gibt es kaum.« Die Hilfe für die Familien geht inzwischen über Betreuung und die Vermittlung von Arztbesuchen hinaus. »In manchen Wohnungen sind die sanitären Verhältnisse derart katastrophal - das ist unvorstellbar für Westeuropäer.« In einem solchen Fall bittet Wecker die Paten im fernen Deutschland um eine Extraspende, »damit wir eine Dusche einbauen können und eine funktionierende Toilette«.

Nach langem Ringen ist die Kleine Pyramide in diesem Juni endlich aus einer Wohnung ins eigene Haus umgezogen. Lange hatte man nach einem Bauplatz gesucht, als dem Team im vorigen Jahr der Zufall zur Hilfe kam: Ein Hotelier hatte sich mit einem Neubau im Zentrum von Gezira übernommen, die Kleine Pyramide konnte den Rohbau erwerben und nach eigenen Bedürfnissen fertig bauen - komplett aus Spenden finanziert. Stolz verweist Ingrid Wecker auf die nunmehr neuen Möglichkeiten: Auf 350 Quadratmetern auf drei Etagen ist nun tägliche Physiotherapie möglich, es gibt einen Kindergarten, eine Sommerferienschule, Logopädie und Sonderpädagogik. »Wie gehabt kommt zwei Mal in der Woche ein Kinderarzt und der Unterricht für die Mädchen und Frauen läuft natürlich auch weiter. Wir haben alle Hände voll zu tun!«

Internet: www.die-kleine-pyramide.de

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