Blauäugig gegenüber Blauhemden

Wahlkampfauftakt der Partei »Alternative für Deutschland« in Hamburg

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 4 Min.
Rund 900 Menschen feiern mit der »Alternative für Deutschland« mit einer Demonstration durch Hamburg den Wahlkampfauftakt. Auf Plakaten fordern Teilnehmer Merkel auf, mehr an Deutschland zu denken.

Die Altparteien sollen ihr »blaues Wunder erleben«, ist in einigen Aufrufen zur »Großdemonstration im schönen Hamburg« zu lesen. »Alles ist blau«, vermeldet ein begeisterter Teilnehmer auf »Facebook«, der auf dem Heidi-Kabel-Platz hinter dem Hauptbahnhof eine Menge der von den Veranstaltern erbetenen »blauen Hemden, Blusen und T-Shirts« gesehen hat.

»Statt noch mehr Euros zu verschenken, soll Merkel mal an Deutschland denken!« und andere nationalistisch gefärbte Parolen, die vom Dach eines Feuerwehrwagens mit der Aufschrift »Eurowehr« via Megafon vorgegeben werden, räumen ein Missverständnis aus: Nein, es ist nicht der Sozialismus, der rund 900 Menschen mobilisiert hat, aus deren Reihen unermüdlich »Ha, He, Ho - der Euro ist k.o.!« skandiert wird. Es ist die »Alternative für Deutschland« (AfD), die hier ihren Wahlkampfauftakt feiert. Aber wie soll eine solche Alternative aussehen? Die politische Farbenlehre liefert Anhaltspunkte: Blau symbolisiert nicht nur Jugend und Hoffnung - sondern auch Neoliberalismus und FDP. Und blaublütig ist Beatrix von Storch, die von der »Jungen Freiheit« als »heimliche Geburtshelferin« der AfD gefeiert wird. »Wir sind nicht rechts, nicht links - wir sind geradeaus!«, ruft sie ihren Fans auf dem Jungfernstieg entgegen. Die Berliner Rechtsanwältin, die unermüdlich weniger Staat fordert und sich vom »europäischen Zentralstaat« nicht den »Krümmungsgrad der Gurken« diktieren lassen will, gebärdet sich als das Maschinengewehr Hayeks und Friedmans.

Wie Storch dürfte das Gros der AfD-Demonstranten aus dem Milieu der Marktfrommen stammen. Die braven Bürger (Verkehrsschilder zu bekleben, stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, weiß offenbar eine Frau und platziert den ihr ausgehändigten AfD-Sticker lieber auf ihrer Stirn) kommen den Aufforderungen von jung-»alternativen« Animateuren, »Fußballatmosphäre« zu verbreiten und »die Stadt zu rocken«, nur zögerlich nach. Sie sind es einfach nicht gewöhnt, ihre Rechte auf der Straße erkämpfen zu müssen. Aber nach und nach lassen sie dann doch den Wutbürger raus. Als die Staatsgewalt einige linke Gegendemons-tranten abdrängt, intonieren die AfD-Anhänger im Schutz der Freunde und Helfer: »Eins, zwei, drei - danke Polizei!«

»Wir sind die Guten«, verkündet Kay Gottschalk, Nummer zwei auf der Landesliste der AfD. Manche glauben das und begegnen den »Blauhemden«, wie sie von ihren Anhängern genannt werden, blauäugig - obwohl sie mit dem Wahlversprechen werben, etwas »gegen die Einwanderung in unsere Sozialkassen« zu unternehmen. Er würde keine rechte Partei wählen, versichert ein Mann, der nach eigenen Angaben »halber Mexikaner« ist. »Wer die ›Alternative‹ nicht will, soll der LINKEN oder den Piraten seine Stimme geben«, plädiert er für den Aufbau einer »starken Opposition«.

Wem es ernst ist mit dieser Forderung, der sei bei der »Alternative« völlig falsch, meint das »Hamburger Bündnis gegen Rechts«. »Immer wieder tauchen Kandidaten oder Mitglieder der ›Alternative für Deutschland auf‹, die Überschneidungen zur extremen Rechten aufweisen.« In Hamburg spiele beispielsweise der ehemalige Landesvorsitzende der rechtspopulistischen und muslimfeindlichen Partei »Die Freiheit« schon seit Gründung der AfD eine maßgebliche Rolle.

Junge Leute am Straßenrand - für sie ist diese Partei »keine Alternative, weil sie rassistisch und nationalistisch ist« - zeigen auf einen Mann mit Sonnenbrille, der ein T-Shirt des von Neonazis favorisierten Labels Thor Steinar und ein »Alternative«-Transparent mit der Aufschrift »Der Polizei den Rücken stärken, damit Sicherheit kein Luxus wird« trägt.

Aber die AfD will mit dem »braunen Pöbel« nichts zu tun haben. Dass ihre Ablehnung weniger dessen Nationalchauvinismus und Fremdenfeindlichkeit, sondern mehr der sozialen Klasse gilt, aus der sich viele Nazis angeblich re-krutieren - ein Klischee, das sich häufig als Ressentiment erweist -, lassen gesellschaftswissenschaftliche Analysen vermuten. Für die AfD-Propaganda typisch sei, dass sie das »rechte Bild vom angeblich drohenden nationalen Untergang - man denke hier nur an den deutschen Geschichtsphilosophen Oswald Spengler oder eben wieder an Thilo Sarrazin -, nicht primär völkisch, sondern fiskalpolitisch auflädt«, sagt der Sozialwissenschaftler Phillip Becher, für den es nur eine Frage ist, »wie scharf die Rechtskurve der ›Alternative‹ wird«. Der Autor Thomas Wagner verortet sie anhand ihrer »radikalen Frontstellung gegen den Sozialstaat, Gewerkschaften und linke Parteien« in der Nähe der ultra-neoliberalen Neuen Rechten.

Bei der Abschlusskundgebung auf dem Gänsemarkt schießt sich der AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke zwar auf die desaströse Politik zum Eurorettungsschirm der »Blockparteien« ein. Aber dass der Wirtschaftsprofessor einer Koalition mit FDP und CDU alles andere als abgeneigt ist - sofern diese zu einer härteren Gangart gegen die Empfängerländer des Rettungsfonds bereit wären -, hat er längst signalisiert.

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