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Was tun, wenn alles überwacht wird?

Abbas Khider: Ein »Brief in die Auberginenrepublik« geht seltsame Wege

  • Fokke Joel
  • Lesedauer: 3 Min.

Briefe haben etwas Magisches. Sie transportieren Gefühle und Gedanken durch Raum und Zeit. Besonders handschriftlich verfasst, sind sie persönliche Zeugnisse. Briefe sind aber auch gefährdet. Auf dem Weg, den sie zurücklegen, passieren sie viele Stationen. An jeder können sie verloren gehen.

Abbas Khider, der aus dem Irak stammende, in Deutschland und auf Deutsch schreibende Schriftsteller, hat sich diese eigentümlichen Eigenschaften des Briefes zu nutze gemacht. In seinem Roman »Brief in die Auberginenrepublik« schickt Salim Al-Kateb, ein in Bengasi lebender politischer Flüchtling, einen Brief an seine Freundin Miriam nach Bagdad. Mitte der neunziger Jahre, wenn der Roman spielt, waren im Nahen Osten Internet und E-Mail noch nicht verbreitet. Auch das Telefon kommt nicht in Frage, weil Salim befürchtet, dass Miriams Anschluss von der Geheimpolizei überwacht wird und er sie in Schwierigkeiten bringen würde. Selbst die offizielle Post ist nicht zuverlässig und wird mitgelesen. Eine Situation, in der einige Geschäftemacher ihre Chance witterten und ein illegales Postsystem aufbauen. 200 Dollar kostet es Salim, dass sein Brief an der Geheimpolizei vorbei nach Bagdad transportiert wird und er mit seiner Freundin Kontakt aufnehmen kann. Ein lukratives Geschäft, denn in Libyen lebten damals viele Exil-Iraker. Salim aber sieht es nüchtern: »Manchmal braucht man sie einfach, die Geldgeilen des Friedhofs, die einem das Leben im Grab erleichtern können.«

In »Brief in die Auberginenrepublik« erzählt Abbas Khidder den Weg, den Salims Brief zurücklegt. Jedes Kapitel ist aus der Perspektive eines anderen Akteurs dieser geheimen Post geschrieben. Mal werden die Briefe von einem Taxifahrer transportiert, der eine Gruppe von Männern von Bengasi nach Kairo fährt, dann kommt ein ägyptischer Reisebüroleiter zu Wort, der sie dort in Empfang nimmt und weiterleitet. Ein Lastwagenfahrer, der sie auf der Ladefläche in einer Kiste versteckt, ist der letzte Transporteur von Amman nach Bagdad. Alle berichten sie von ihrem Leben und ihren Nöten. Alle sind vorsichtig mit politischen Kommentaren. Aber wenn sie sich unbeobachtet fühlen oder unter Ausländern sind, kritisieren sie ihr Regime, ob es nun Gaddafi in Libyen ist, Mubarak in Ägypten oder der jordanische König. Als dann zwei irakische Geheimpolizisten zu Wort kommen, hält der Widerspruch Einzug in Abbas Khiders Roman. Nicht immer ist es einfach, ein Urteil über diese Männer zu fällen. Manche haben aus Not oder Naivität mitgemacht und als sie merkten, was sie tun, war es zu spät.

Nach und nach entsteht so ein differenziertes Bild der Situation in Nordafrika und im Nahen Osten in den 1990er Jahren. Gleichzeitig begreift der Leser, was es heißt, als Flüchtling leben zu müssen. Abbas Khider selbst ist seit 1996 durch verschiedene Länder geirrt, bis er 2000 nach Deutschland kam. Manchmal erscheint einem die Geschichte seines Romans als zu schmucklos beschrieben und wirkt wie eine Aufzählung von Fakten. Dann aber wird es wieder spannend, weil man wissen will, was aus dem Brief wird. Und das, obwohl Salim schon zu Beginn des Buches meint, der Brief sei eigentlich gar nicht an Samia gerichtet. »Obwohl ich mich in diesem Brief an Samia wende, habe ich ihn nicht an sie, sondern eigentlich an mich selbst geschrieben. Ich bin vermutlich derjenige, den Emile Cioran meinte, als er sagte: «Nur der Schriftsteller ohne Leser kann sich den Luxus leisten, aufrichtig zu sein. Er wendet sich an niemanden, höchstens an sich selber.»

Abbas Khider: «Brief in die Auberginenrepublik», Edition Nautilus, 160 S., geb., 18 €.

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