Der große Windbeutelwurf

»Sabotage« von Jakob Augstein

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Journalist Jakob Augstein provoziert gerne. Macht ihn das zum Provokateur? Zum agent provocateur gar? Der Unterschied zwischen diesen Gattungen: Letzterer handelt im Auftrag. Dieser lautet, den politischen Gegner zu ihn diskreditierenden, meist gewalttätigen Handlungen zu bewegen. Oder selber so zu tun, als sei man der Gegner, indem man jene gewalttätigen Handlungen selber ausführt, sich dabei aber mit der Symbolik des Opponenten tarnt. Augstein hat nun ein Buch geschrieben, dass dem Stand der Provokateure unerwartete Ehrenrettung zuteil werden lässt. Es heißt »Sabotage«.

Der Text macht an den Stellen Spaß, an denen Augstein das neoliberale Lügengebäude offenlegt. Wach und belesen fasst er die offensichtlichen logischen Brüche und Heucheleien einer fatalen Koalition zusammen: die der schwachen Politiker, des dreisten Großkapitals und der eifrigen Helfer in Medien und Universitäten. Genüsslich und unterhaltsam seziert er Kanzlerin Angela Merkel: die »reine Substanz der Macht«, die »beinahe surreale Erscheinung«, ein »Gespenst« ihrer selbst, ohne Attribute oder Prädikate.

Der Autor fasst also Selbstverständlichkeiten und linke Allgemeinplätze zusammen: von der Gier der Banker über die lobbygesteuerte Demokratie bis zur ganz allgemeinen moralisch zersetzenden Wirkung des Kapitalismus. Und so wartet der Leser, den einen oder anderen Armutsbericht ungeduldig überblätternd, auf die Schlussfolgerung. Die ist dann aber von solch destruktiver Naivität, dass man fast an Augsteins ehrenhaften Absichten zweifelt.

Jakob Augstein fordert eine Renaissance der Militanz, eine Gewalt gegen Sachen. Er stellt dem Buch eine Anleitung zur Herstellung von Farbbeuteln voran und schließt diese mit den Worten: »Jetzt sind Sie bereit für die politische Auseinandersetzung.«

An solcher Stelle war die (westdeutsche) Linke aber bereits viele Male. Nach den (stets unterwanderten und instrumentalisierten) Gewaltpredigern der 60er und 80er Jahre kostete und kostet es viele Linke bis heute große Überwindung, in der eigenen Szene Gewaltfreiheit zu fordern. Eben jenen fällt Augstein mit seinem unbedachten Büchlein in den Rücken.

Autokraten lieben den militanten Provokateur, den militärisch chancenlosen Gewalttäter. Und wenn sich nicht genügend »selbstständige« Militante finden, greifen sie zum bezahlten Agenten. Davon braucht es nur eine Handvoll, um friedliche Großdemonstrationen zu diskreditieren. Es können tausende Kehlen moralisch allzu berechtigte Losungen brüllen. Mischen sich zwanzig Gewaltbereite darunter, hören wir in den Nachrichten ausschließlich von ihnen. Das war oft, zu oft zu erleben - von den Springer-Demos 1968 über die Startbahn-West-Proteste bis zu jüngsten G8-Protesten.

Augstein argumentiert widersprüchlich: Einerseits mokiert er sich über die staatsfeindliche Rhetorik der Neoliberalen. Andererseits stimmt er mit ein, wenn er sich darüber lustig macht, wie in deutschen Landen doch alles seine Ordnung hat. So macht er etwa eine Politikerin der Linkspartei lächerlich, weil sie sich von einem Anschlag auf die Stromzufuhr der Berliner S-Bahn distanziert. Oberlehrerhaft betet er jener Halina Wawzyniak die ihr natürlich wohlbekannten Thesen Johan Galtungs von der »strukturellen Gewalt« vor.

Zudem nimmt die schon im Vorwort aufblitzende Radikalität zum Ende hin immer mehr ab. Zum Schluss muss Augstein - getrieben von den eigenen Einsichten, etwa zur RAF - sogar feststellen, dass die Anwendung politischer Gewalt in die Irre führt. Trotzig fügt er allerdings hinzu: der Verzicht darauf aber auch.

Die tatsächlich wirksamen linken Bestrebungen der letzten Jahrzehnte waren gewaltfrei und parlamentarisch. So gab es für die Bewegungen von Hugo Chavez oder anderen linken lateinamerikanischen Staatschefs keine größere Gefahr als unbedachte oder bezahlte Provokateure. Es gibt (in der nicht-revolutionären Situation!) kaum einen berechenbareren Reflex: Wenn die Barrikaden brennen und dadurch die Gewehrkugeln gerechtfertigt sind, bleibe ich lieber zu Hause.

Es ist schwer vorstellbar, dass Jakob Augstein diesem Fluchtreflex widerstehen würde. Eher liegt die Vermutung nahe, dass hier jemand den kontraproduktiven (körperlichen) Kampf der Verzweifelten zwar befeuert - diesen dann aber lieber aus sicherer Entfernung beklatschen würde.

Die »Eliten« sind mit ihrer Einschätzung der Wirkung von Gewalt auf die absolute Bevölkerungsmehrheit ein gehöriges Stück weiter als die Linken. Genau jene martialischen Bilder des Straßenkampfes, die Militante zur Selbstvergewisserung so lieben, sind die Signale, die noch den wohlwollendsten Bürger verschrecken.

Es geht nicht um eine moralische Bewertung des Farbbeutel- oder Steinwurfs. Das sind nachvollziehbare Reaktionen auf unleugbares Unrecht. Sie mögen eine positive therapeutische Wirkung auf den Werfenden haben. Die allerdings ist eine folgenlose Aggressionskanalisation und dadurch systemerhaltend.

Augstein ist einer der wenigen Linken, die noch prominenten medialen Raum besetzen dürfen, in seinem Fall bei Spiegel-Online. Das weltweite Problem der erdrückenden Meinungsdominanz durch einige Wenige wird aber ausgerechnet von ihm total unterschätzt. Zumindest schlägt sich das Thema kaum im Buch wieder.

Dabei ist eine andere Welt gegen den Widerstand der aktuellen Medienlandschaft gar nicht denkbar. Letztere muss radikal verändert werden, will die Gesellschaft nicht auf ewig Getriebene der jeweils angestrebten medialen Aufwiegelung oder Einschläferung bleiben. Es ist Rätselhaft, dass gerade der Journalist Augstein diesen zentralen Punkt kaum würdigt. Zumal sein Lob der Militanz vor allem auf die durch sie hergestellte Öffentlichkeit zielt

Was tun, möchte man etwa das Prinzip »Geld gleich Medienpräsenz« attackieren? Um mit Augstein zu sprechen, geht man zum Springerverlag und wirft mit einem traurigen Häuflein Unterstützer Farbbeutel gegen die armdicke Sicherheitsglasfassade. Die politischen Kampagnenprofis der »Bild«-Zeitung werden diese Gelegenheit, sich als von totalitären Spinnern verfolgte Lämmer zu gerieren, wie weiland 1968 dankend annehmen. Statt »Macht kaputt, was euch kaputt macht!« hätte Augstein also besser einen anderen 60er-Jahre-Slogan aus der Mottenkiste holen sollen: »Enteignet Springer!«

Weniger sexy als die Pose des Farbbeutelwurfs ist eine Rückbesinnung auf die Organisation. Die 1968 von der APO gesäte - und von der Occupy-»Bewegung« erneuerte - Feindschaft gegen Parteien und Strukturen kann mittlerweile nur noch als reaktionär und schädlich betrachtet werden. Man muss - bei allem Enttäuschungspotenzial - eine linke Partei an die Macht bringen. Und wenn die dann etwa gegen die Medienkonzentration vorgeht, muss man in der folgenden Propagandaschlacht vielleicht auch mal FÜR eine Regierung demonstrieren.

Für Augstein hat die Demokratie in ihrem jetzigen Zustand abgewirtschaftet. Und die noch am ehesten den vom Autor benannten Defiziten entgegentretende Partei, - die Linkspartei - scheint es in Augsteins Deutschland gar nicht zu geben, so sehr ignoriert er sie.

Seiner Diagnose zum deutschen Patienten kann man zustimmen. Die Therapie der Militanz allerdings muss als kindisch, ja katastrophal abgetan werden. Dass man annehmen kann, dass Augstein diesen politisch-strategischen Humbug aus Eigenantrieb verfasst hat- er also kein bezahlter agent provocateur ist - spricht ihn keineswegs frei. Es macht seine Ausführungen nicht klüger, höchstens billiger.

Jakob Augstein »Sabotage«, Hanser, 291 Seiten, 18,90 Euro

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