Hoffnungsschimmer Deutschland

Berlins erste Anlaufstelle für Asylbewerber liegt im Zentrum auf dem ehemaligen Gelände des Krankenhauses Moabit

  • Lukas Philippi, epd
  • Lesedauer: 3 Min.

Fast alle Plätze sind besetzt, manche haben schwere Reisetaschen dabei, einzelne Gruppen stehen an Tischen, Kinder spielen zwischen Stuhlreihen, in der Luft liegt ein babylonisches Sprachgewirr. An der Decke des großen Raums hängen mehrere Bildschirme, darauf Warte- und Zimmernummern.

»Wir haben heute Vormittag etwa 170 Menschen registriert«, sagt Vilwanathan Krishnamurthy, bevor er zur Mittagspause verschwindet. Der Sachbearbeiter sitzt zusammen mit zwei weiteren Kollegen hinter einem langen Tresen der Zentralen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Berlin. Für viele Neuankömmlinge ist Krishnamurthy der erste Behördenkontakt in Deutschland überhaupt.

Mit dem Aufnahmebogen und einem Laufzettel in der Hand geht es dann weiter im Haus. Dabei helfen bis zu 18 Dolmetscher, sogenannte Sprachmittler, die meist mehrere Sprachen verstehen. Die Ankömmlinge müssen etwa Passfotos machen für ihre »Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender«. Chips für den Fotofix-Automaten gibt›s vom Amt. Außerdem erhalten sie Fahrscheine für die Fahrt zu einem der beiden Wohnheime, die als Erstaufnahmeeinrichtungen dienen. Oder sie werden in ein anderes Bundesland überwiesen - gemäß dem sogenannten Königsteiner Schlüssel, der die Quoten festlegt - und erhalten dafür eine Bahnkarte. Das eigentliche Asylverfahren läuft über das Bundesamt für Migration und Zuwanderung.

Die Berliner Anlaufstelle für Asylbewerber liegt mitten auf dem Gelände des ehemaligen Krankenhauses Moabit im Zentrum der Hauptstadt. Vor dem modernen Plattenbau stehen Bänke und mehrere Biertische. Auffallend viele junge Männer und Frauen zwischen 20 und 35 Jahren sind zu sehen, zahlreiche Kinder.

In der Sonne sitzt eine Familie mit drei kleinen Kindern. Sie sind vor zwei Wochen aus Syrien geflohen, erzählt der Familienvater auf Arabisch. Sein Schwager, der schon lange in Berlin lebt, übersetzt. Zunächst ging es zu Fuß in die Türkei, dann weiter per Schiff und mit der Eisenbahn. Die genaue Route kennt der Syrer mit palästinensischen Wurzeln nicht, wurde ihnen nicht gesagt. Pro Erwachsenem hätten sie 7000 Euro an die Schleuser bezahlt. In Damaskus hatte er ein Kleidergeschäft. Jetzt hofft die Familie beim Bruder der Frau in Berlin auf einen Neuanfang: »Germany is very good«, sagt er hoffnungsvoll und seine fünfjährige Tochter lacht dazu.

An erster Stelle der Asylsuchenden in Berlin stehen zur Zeit Menschen aus der Russischen Föderation, sagt Silvia Kostner, Sprecherin des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, das für die Aufnahmeeinrichtung zuständig ist. Auch Vietnamesen, die derzeit aber offenbar keine großen Asyl-Chancen haben, Serben, Afghanen und eben Syrer hoffen auf einen Neubeginn in der Hauptstadt.

Trotz der vielen Menschen, denen tagtäglich der Weg in die deutsche Gesellschaft gewiesen werden muss, herrscht eine gute Stimmung in der Behörde, sagt Kostner. Das liege sicherlich auch daran, dass viele Mitarbeiter selbst einen Migrationshintergrund haben.

Fahem Tahir etwa, ganz in Schwarz gekleidet und für die Sicherheit zuständig, steht breitbeinig in der offenen Zwischentür zwischen Warteraum und einem Raum der Sachbearbeiter. Der aus Tunesien stammende Tahir lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland. Immer wieder gibt es Ratsuchende, denen er helfen kann, sei es auf Arabisch, Italienisch, Englisch, Französisch oder eben auf Deutsch. Auch wenn er bei seinem Job manche Beleidigung einstecken müsse, wie er erzählt, findet er es gut, dass Asylsuchenden hier geholfen wird.

Bis zu 5000 neue Asylbewerber erwartet Berlin in diesem Jahr. Ein Asylverfahren kann sich über viele Monate hinziehen. Für ihre Unterbringung werden derzeit leerstehende Gebäude zu Wohnheimen hergerichtet. Weil Wohnraum knapp ist, gibt es derzeit zehn Notunterkünfte. Teilweise gibt es dagegen auch Protest von Anwohnern. Aber, betont Kostner, »wir haben schließlich die Verpflichtung, keinen in die Obdachlosigkeit zu entlassen«.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal