Alles heftig, sie aber: hold

Susanne Düllmann ist tot

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Frank Castorf inszenierte vor Jahren »Gier nach Gold« von Frank Norris. Die Schauspieler fast nur auf Video-Leinwand zu sehen - so kam es gleichsam zu einer der schönsten Liebesszenen des neueren deutschen Films: Susanne Düllmann und Joachim Tomaschewsky. sie weit über siebzig, er weit über achtzig: Es geht nur um das Angebot einer Tasse Tee. Aber wie da an einem Gran allzu auffälliger Höflichkeit eine mögliche späte Liebe zu scheitern droht oder just dadurch geschürt wird, wer weiß! Wie da zwei müde, vom Leben arg benutzte Wesen sich noch einmal in wacheste Schwebe bringen! Wie sich da zwei Menschen als unmögliches Paar begreifen, demnach als das einzig richtige - und sie doch Meilen und Welten (noch) nicht überwinden können!

Als fast 80-Jährige spielte Susanne Düllmann die grausame Großmutter in Marthalers Version der »Geschichten aus dem Wiener Wald« von Horváth. Ein stolpernder großmütterlicher Pflegefall, der aber urplötzlich atemberaubende Gymnastik betreibt; so, als stecke im Verfall noch immer eine unheimliche Kraft, die nur darauf wartet, sich irgend einer Rachlust andienen zu können. Diese Großmutter wird ein kleines Kind töten, und Düllmann steigert das Grausige, weil sie ein so gutes, sanftes Gesicht hat - dies Gesicht kriegt kein Mord abgrundhart böse. Dämonischer geht’s kaum.

Vor wenigen Monaten hatten wir der »Berliner Staatsschauspielerin«, der langjährigen Volksbühnen-Aktrice, der ältesten Spielerin im Castorf-Haufen zum 85. Geburtstag gratuliert: »Die Zarte inmitten des Polterbetriebs. Die Stille im Brüllkonzert. Die Zerbrechliche im Turntheater. Die Holde im Heftigkeitstrubel. Die Zähe im Zerreißprobengeschäft.« Sie war einst Tänzerin in Chemnitz; Walter Felsenstein animierte sie an der Komischen Oper zum Singen, von da an war es nur ein kleiner Schritt zur Schauspielerei. Ein künstlerisches Leben mit Regisseuren wie Benno Besson, Fritz Marquardt, Manfred Karge, Matthias Langhoff. Zu sehen auch in Marthalers Kult-Werk »Murx den Europäer!«: mädchenhafte Verlorenheit und etwas Entrücktes, in dem giftige List lauerte.

Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Susanne Düllmann bereits am 11. August gestorben.

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