Blick von ganz oben auf die Welt

W. Kuprijanow

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 2 Min.

Wilder Westen»: Das ist für den russischen Dichter nicht irgendwo in der Prärie, das ist, «wo die Spanier tanzen», wo «die Deutschen Papiere sortieren» und «wo bei den Schweizern jeder sein Loch im Käse hat». Die Russen sind da nicht mit im Spiel, «weil sie sich einfach nicht entscheiden können/ wo sie hingehören/ wo Osten ist wo Westen/ und doch dieses Europa sein wollen». Liegt es nur an ihnen? Bei dieser Frage sieht man Wjatscheslaw Kuprijanow leise lächeln. Ihn kann niemand für dumm verkaufen. Das nicht! Wenn›s mit dem Verkaufen von Lyrikbänden schon so schwierig ist ...

Wenigstens gibt es in Ludwigsburg den Pop Verlag und Peter Steger, der ein engagierter Lektor und zugleich Kuprijanows Übersetzer ist. Für Russisch-Sprechende wäre es sicher noch anregender gewesen, die Gedichte zusätzlich im Original zu lesen. Aber solche Leute gibt es hierzulande sowieso fast nur noch im Osten.

Westen - Osten: Unsereins kann nachempfinden, was Kuprijanow meint, wenn er sagt «Ich bin der Dichter des Zusammenpralls der Welten», denn dieser Zusammenprall geschieht nicht nur außen - dramatischer, als man denkt -, sondern auch in den Menschenseelen, die mitgerissen werden von etwas, das sie so nicht erwartet haben. «Und es gibt eine Welt/ die über mich hinweggeht/ mit den Siebenmeilenstiefelnd des Fortschritts», schreibt Kuprijanow. Der Fortschritt, der einem echte, aber auch falsche Geschenke gibt, der narrt. «Mehr Freiheit» heißt ein Gedicht: Wenn man in den Zellen die Decken weißt? Oder, das in einem anderen Gedicht, wenn Gefängnisse und psychiatrische Anstalten an private Aktiengesellschaften übergeben werden?

Pointierte Zeitdiagnosen: In einem Gespräch mit Peter Steger nennt sich Wjatscheslaw Kuprijanow einen kritischen Idealisten. Dabei ist er ein Weltenüberblicker, einer, der auf die Wirren der Gegenwart von ganz oben schaut. Und es liegt nicht bloß an ihm, dass er dabei sarkastisch wird.

Wjatscheslaw Kuprijanow: Wilder Westen. Gedichte. Aus dem Russischen von Peter Steger. Pop Verlag. 140 S., br. 17,50 €.

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