Wandern und nachdenken

Nach dem NSU-Skandal vernetzen sich Antifaschisten und Gewerkschafter

  • Hans-Gerd Öfinger, Oberhof
  • Lesedauer: 5 Min.
»Rennsteig« ist nicht nur ein wunderbarer Mittelgebirgs-Fernwanderweg - sondern auch der Name jenes zwielichtigen Geheimdienstprogramms, das seit den 1990er Jahren zur Stabilisierung der Naziszene in Thüringen beitrug. Nun trafen sich auf dem Wanderweg Gewerkschafter, Antifaschisten und sogar Sportler zur engeren Vernetzung.

Wo ließe sich besser gegen Rassismus wandern als im thüringischen Oberhof? Schließlich liegt die Sommerfrische am Rennsteig - jahrelang der Deckname für die Verstrickung bundesdeutscher Geheimdienste mit der Neonaziszene. In der Operation Rennsteig hatte man bis 2003 V-Leute aus dem »Thüringer Heimatschutz« angeworben, darunter auch im näheren Umfeld der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU).

Von der gewaltbereiten Neonaziszene, der allein im Freistaat rund 500 Menschen zugerechnet werden, ist an diesem Spätsommerwochenende in Oberhof nichts zu sehen. Stattdessen springen T-Shirts mit der Aufschrift »Respekt!« ins Auge. IG Metall und die Sportlerinitiative »Respekt! Kein Platz für Rassismus« sind im schönen Oberhof zum Wandern verabredet; bei den Touren durch die Wälder um die berühmten Wintersportstätten ist der Weg das Ziel. Gewerkschafter, Sportler, Aktivisten und lokale Antifaschisten kommen sich näher und tauschen sich aus.

Zu den knapp hundert Wanderern, die bei milder Witterung über Berg und Tal stapfen und dabei nach Auswertung aller Zählinstrumente 1 206 306 Schritte zurücklegen, gehört auch der Betonfacharbeiter Teodoro Cordeiro. Als Vertragsarbeiter aus Mosambik hatte er in den 1980er Jahren in Leipzig Wurzeln geschlagen. Nach dem Mauerfall 1989 aber setzte schlagartig ein offener Hass ein: »In Dresden wurden Ausländer verprügelt. Es war gefährlich, als Ausländer mit dem Zug zu reisen oder sich an Bahnhöfen aufzuhalten«, erinnert er sich.

Am Berliner Ostbahnhof wurde Cordeiro 1990 zur Zielscheibe rassistischer Pöbeleien. »Vielleicht 50 Jugendliche rannten auf mich zu, hielten Flaschen in den Händen, brüllten herum und gossen Bier auf mich«, erinnert er sich. Realistisch erkannte er, dass er da keine Chance hatte. »Also habe ich ignoriert, dass sie mich mit Bier beschüttet haben, und bin einfach weiter gegangen. Das war mein Glück«, so Cordeiro rückblickend. Der hochgewachsene Mittvierziger lebt heute im niederbayerischen Landshut.

Der Münchner IG-Metall-Sekretär Willi Rembs hört solche Erzählungen nicht zum ersten Mal, aber immer wieder mit Interesse. Schon seit den 1980er Jahren engagiert sich der Gewerkschafter gegen Rassismus - stets mit offenem Auge für die neuesten Entwicklungen. Bei der Integration von Migrantenfamilien diagnostiziert er etwa Rückschritte: »Früher haben die Familien aus Jugoslawien oder Griechenland nebeneinander gewohnt, heute ziehen bestimmte Nationalitäten zunehmend in bestimmte Viertel.« Und die Kinder gingen auch nicht mehr in den lokalen Fußballklub, inzwischen gehe der Trend zur Bildung separater Vereine. »Wenn du die Jugend nicht im siebten, achten oder neunten Lebensjahr in die Vereine holst, wird es sehr schwer. Wenn aber einmal die Kinder dabei sind, dann kommen die Eltern auch«, meint er.

Womit man beim Sport wäre - viel zitiertes Mittel gegen, aber auch immer wieder Schauplatz von Rassismus. Die »Respekt!«-Kampagne ist eine Reaktion auf rassistische Gesänge in Fußballstadien - und einige der »Gesichter« der Kampagne wandern auch in Oberhof mit. Zum Beispiel die Fußballerin Sandra Minnert, Nationalspielerin von 1992 bis 2007, und der Ringer Alexander Leipold, Olympiasieger, Welt- und Europameister. »In der Nationalmannschaft haben viele einen Migrationshintergrund. Ein respektvoller Umgang sollte da selbstverständlich sein«, sagt er. »Sport verbindet und macht Freunde - und bringt Diskussionen über bestimmte Probleme«, sagt der Oberhofer Gästeführer und Ex-Biathlet Gerhard Köhler.

Den angereisten Wanderern haben sich regionale Aktivisten angeschlossen, die »das grüne Herz Deutschlands« nicht auf Nazischläger, NSU, Folklore und Bratwurst reduzieren lassen wollen. Unter ihnen ist Madeleine Henfling, Sprecherin der Thüringer Bürgerbündnisse gegen Rechtsextremismus. In jedem Landkreis bestehe inzwischen mindestens ein solches, sagt sie bei der Mittagsrast. Der Alltag sei aber bedrohlich: »Man läuft Nazis in kleineren Ortschaften auch direkt über den Weg.«

Für Gesprächsstoff sorgt auf der Wanderung immer wieder die Diskussion über den NSU-Komplex, die am Vorabend stattgefunden hatte. Wichtiger als Gedenksteine sei nun eine rückhaltlose Aufklärung, fordert hinsichtlich dessen die Landtagsabgeordnete Katharina König (LINKE), die auch im Erfurter NSU-Ausschuss sitzt. »Der Bundestags-Untersuchungsausschuss gibt sich zufrieden mit Antworten von Menschen, die nur vertuschen und zerschreddern«, empört sie sich.

»Ohne massive Unterstützung durch den Verfassungsschutz hätten die Neonazistrukturen nicht weiter bestehen können«, ist sich auch Benjamin Ortmeyer von der Frankfurter Forschungsstelle NS-Pädagogik sicher. Gegenüber dem Staat sei nun »Misstrauen angesagt.« Mucksmäuschenstill war es am Vorabend im Saal, als Opferanwalt und Nebenkläger Yavuz Narin Zusammenhänge der bundesweiten NSU-Mordserie darstellte und harte Vorwürfe gegen die Staatsorgane erhob.

»Der Untersuchungsausschuss wurde von der Exekutive vorgeführt, die ihn regelmäßig belogen und seine Arbeit untergraben hat«, so der Anwalt. Statt die Verantwortung von Ermittlern und Geheimdiensten zu klären, sei die Mehrheit »aus Staatsräson eingeknickt«, habe einen »Burgfrieden geschlossen, um die Verantwortlichen zu schonen.« Die Staatsorgane hätten »die Szene nicht unter Kontrolle bekommen, sondern den Rechtsterrorismus geschaffen«. Vorbildliche Beamte »wurden zwangsversetzt und gemobbt, während diejenigen, die versagt haben, befördert wurden«. Der Verfassungsschutz schütze V-Leute vor Verfolgung und schaffe für sie Jobs. »Das hat System.«

Auch einen Tag später löst das noch Nachdenklichkeit aus. »Ich habe viel über den NSU gelesen. Aber was berichtet wurde, hat mich regelrecht erschreckt«, bekennt Bertin Eichler, Finanzvorstand der IG Metall und »Respekt«-Schirmherr. »Erdrückend«, urteilt der Thüringer IG-Metall-Sekretär Kirsten Joachim Breuer: »Ich habe das im Prinzip gewusst, aber jetzt in geballter Form zu hören bekommen.« Der Münchner Willi Rembs sagt, er habe sich immer für gut informiert gehalten. »Doch bei diesen Informationen haut es dir den Sockel weg.«

»Wir müssen dem Problem auf den Grund gehen und innergesellschaftlichen Rassismus bekämpfen«, mahnt angesichts dessen der Rheinländer Ulrich Schmidt. Als Betriebsrat gehört für ihn das Engagement gegen die Spaltung der Belegschaft anhand ethnischer Linien wie auch die Ausgrenzung von Leiharbeitern zum täglichen Brot. Auf soziale Wurzeln des Rassismus verweist auch Landolf Scherzer, ein Schriftsteller aus dem nahen Suhl. Er warnt vor griechischen Verhältnissen: »Viele Leute arbeiten dort für 150 Euro im Monat. Die Neofaschisten verteilen Lebensmittel an Bedürftige und organisieren die ärztliche Versorgung.«

Die deutschen Gewerkschaften hätten eine große Verantwortung und dürften nicht zulassen, »dass solche Zustände auch hierzulande einkehren und mit der sozialen Not ein Nährboden für den Faschismus entsteht«, mahnt Scherzer: »Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen und brauchen ein Miteinander der kleinen Leute von Griechenland bis Deutschland.«

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