Im Niemandsland

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Bestellen Sie niemals im Internet Kleidungsstücke aus den USA. Ich habe das getan. Vier Stunden Zeit muss man schon einplanen, wenn man zwecks Abholung der bestellten Textilien an den letzten noch existierenden Ort Berlins geschickt wird, an den die Gegenwart noch nicht gedrungen ist: das Zollamt Schöneberg, eine Baracke, die man - um sie sorgsam vor den Augen der Welt verborgen zu halten - in Schöneberg zwischen Laubenpiepern und der Stadtautobahn versteckt hat. Betritt man die Räume, findet man sich urplötzlich in einem fremdartigen, kalten Universum wieder, in dem dieselben Neonleuchtstoffröhren, die auch im Kühlhaus des Krankenhauses von der Decke hängen, ihr fahles Licht verströmen. Kahle, aschgraue Wände. Ein Schild mit der Aufschrift »Anmeldung«. Unter einem riesigen Porträtfoto des Bundespräsidenten, das angesichts der Trostlosigkeit dieses Raums wie ein Heiligenbild wirkt, kauert ein mürrischer Zollbeamter, vor sich eine demütige Menschenschlange.

Mein Blick fällt auf den »Wartebereich«, in dem die Stühle so aufgereiht sind, dass alle Wartenden bei aufrechter Sitzhaltung dazu gezwungen sind, den obersten Grüßaugust Deutschlands zu betrachten. Eingekerkert in einer Behörde, die mit der Sprache das gemacht hat, was das Bolzenschussgerät mit dem Schweinegehirn macht: Dieses Schreiben wurde maschinell erstellt und ist auch ohne Unterschrift gültig. Warten Sie im Warteraum, bis Ihre Nummer aufgerufen wird. Ihr Aufruf an den Kassenplatz erfolgt in der Reihenfolge der Wartemarkenausgabe. So klingt hier das, was man von der Sprache übriggelassen hat. Und das ist nicht viel. Die Welt ist hier noch sauber gegliedert in Anmeldung,Vorgang, Aufruf, Abfertigung. Nichts geschieht hier zufällig, nichts kann sich hier ereignen, was nicht in der Vorschrift steht. Auch kein Atomkrieg könnte daran etwas ändern.

Die Wartenden sitzen mit hängenden Köpfen da wie Galeerensklaven und starren schicksalsergeben auf ihre Wartemarke, den einzigen Gegenstand, der hier von Bedeutung ist. Eingesperrte im Niemandsland, der Willkür bleichgesichtiger Aktenordnerträger ausgeliefert.

»Ick bin vapflichtet zu prüfen, ob Aufschrüften auf diesen Objekten möjlicherweise jesetzeswidrig sind«, bellt mich der Mann an, als ich an die Reihe komme, und wühlt mit einer Hand, an der etwas Mayonnaiseähnliches klebt, achtlos in dem mit meinen bedruckten Baumwollshirts gefüllten Plastiksack herum. »Ich kann Ihnen versichern, dass Sie hier nichts Verfassungsfeindliches finden werden«, sage ich und versuche ein Lächeln. »Dit übalass’n Se mal schön mir«, beharrt er, während er fassungslos das Bildmotiv auf einem der Shirts betrachtet, einen kleinen Hasen, der ein riesiges Maschinengewehr in den Pfoten hält. »Ratatatatat!« , sage ich, halte mir die Finger an den Kopf, um Hasenohren anzudeuten, zahle 30 Euro Zollgebühren und verlasse dieses Niemandsland.

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