Wenn der Krieg niemals endet

Theater unterm Dach: »Flashback - 2009 gefallen im 2. Weltkrieg«

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bühne im Theater unterm Dach ist ein Gräberfeld. Fünf graue Kästen liegen dort, geformt wie Särge. An ihnen zu schaffen machen sich ein alter und ein junger Mann. Verbunden sind sie durch ein Seil mit Henkerknoten. Der jüngere, gespielt von Iljá Pletner, gibt sich schnell als Beckmann, heimat- und mittelloser Antiheld aus Wolfgang Borcherts Kriegsheimkehrer-Drama »Draußen vor der Tür« zu erkennen. Er ist dabei, seinem Leben ein Ende zu setzen und in die Elbe zu springen. Den furiosen Hassgesang der Borchertschen Elbe, die weder romantisch noch süßduftend sein will, sondern sich als nach Öl und Fisch stinkend bezeichnet, intoniert die Schauspielerin Anja Jacobsen in düsterem Stakkato vor einer auf Videogroßleinwand sich anmutig wiegenden Wiese. Wenn der Selbstmordkandidat, als noch nicht fertig mit dem Leben klassifiziert, vom Fluss ans Ufer ausgespuckt wird, erwartet ihn dort der Andere. Der entpuppt sich nicht nur als Beckmanns Antagonist aus dem Schulstoff-Drama, sondern auch als der Vater aus einer Art theatraler Familienaufstellung, die die Regisseurin Ingrun Aran an den ursprünglichen Handlungsbogen angedockt hat. Adolfo Assor verkörpert diese Doppelfigur.

Das ist ein geschickter Kunstgriff. Denn dieser Vater, Weltkriegsteilnehmer wie Beckmann, hat zumindest äußerlich das industrielle Morden besser überstanden. Er gründete die Familie, die Beckmann abhanden kam. Doch wie sich in leider etwas zu ausführlich ausgemalten Nebensträngen herausstellt, nimmt er den Krieg in die Familie mit. Das äußert sich in einer wüsten Anklage der Ehefrau und am delikaten Verhältnis zur Tochter; beide Figuren werden ebenfalls von Jacobsen gespielt. Beckmann erscheint zuweilen als der Vater in jüngeren Lebenssituationen, während Beckmann-Darsteller Pletner dann die Funktion des Anderen übernimmt.

Eine weitere interessante Wahrnehmungsfolie entsteht dadurch, dass diese doch ziemlich deutsche Geschichte von einem gebürtigen Chilenen (Assor) und einem gebürtigen Ukrainer (Pletner) erzählt wird.

Sechs Jahrzehnte später und auf dem Sterbebett wähnt sich der Vater erneut auf dem Schlachtfeld des Zweiten Weltkriegs. Diese Erfahrung machte auch die Regisseurin beim Sterben ihres Vaters. Daraus ist die Idee zu dem Stück entstanden, dem letzten im Rahmen der Trilogie »Krieg im Kopf«, die die traumatischen Folgen des Kriegseinsatzes untersucht. Den Anfang machte im Frühjahr Miriam Sachs’ Befragung des Troja-Heimkehrers Odysseus nach dessen psychischen Störungen. Im Juni folgte Wenke Hardts Bearbeitung von Kurt Vonneguts »Schlachthof V«. Und bis ins 21. Jahrhundert, eben 2009, das Todesjahr ihres Vaters, schlägt Aran nun den Bogen.

Irritierend bleibt dabei freilich, dass szenisch die Zweittraumatisierung der Tochter die gleiche Intensität erfährt wie die ursprüngliche des Vaters. Sind Kriegserlebnisse und ein Scheitern beim Segelkurs, in das die Tochter sich durch den soldatischen Vater getrieben wähnt, tatsächlich Ereignisse der gleichen Leidensklasse? Aran begibt sich hier auf noch wenig ausgeforschtes Neuland. Erst zu Beginn dieses Jahrhunderts erfuhr die generationenübergreifende Traumatisierung stärkeres wissenschaftliches Interesse.

»Flashback - 2009 gefallen im 2. Weltkrieg« nähert sich dem Thema künstlerisch. Es bleibt bei aller spielerischer Intensität - eine Traumebene wird durch das Tänzerduo Tarren Johnson und Andreas Uehlein eingeschoben - vor allem aber ein Thesenstück. Es bebildert, was gezeigt werden sollte, lässt den Figuren jedoch kaum Entwicklungsspielraum. Ein wenig gemildert wird dieses Ärgernis durch die visuelle Öffnung des Raums durch einige Videosequenzen. Die hochgesteckten Ambitionen sind spürbar, doch das Interesse an der Kunst und das Interesse an dem Thema stehen sich zuweilen gegenseitig im Weg.

Nächste Termine: 19. und 20.9., 20 Uhr. Theater unterm Dach, Danziger Straße 101, 10405 Berlin, Karten: (030) 902 95 38 17

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