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Anti Rassismus

Hauptausschuss hörte Experten zu geplanter Verfassungsänderung

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

»Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.« Eine hochkarätig besetzte Anhörung des parlamentarischen Hauptausschusses befasste sich gestern mit der Frage, ob die Landesverfassung um diese Antirassismusklausel erweitert werden sollte.

Seine grundsätzliche Zustimmung bekundete der Präsident des Landesverfassungsgerichtes Jes Möller. Eine solche Verfassungsänderung - es wäre übrigens die achte seit 1992 - empfinde er als berechtigt. Sie wäre eine Bereicherung und festige das immer wieder notwendige Bekunden, die innere Sicherheit im Landes gewährleisten zu wollen. Ihm erscheine angebracht, Rassismus und Extremismus nicht zu verknüpfen, weil »Rassismus in allen Bevölkerungsschichten anzutreffen ist«, sagte Möller. Daher würde dieses neue Staatsziel sich unproblematisch in die Reihe der übrigen Staatsziele der brandenburgischen Landesverfassung (wie Recht auf Arbeit und Recht auf Wohnung) einfügen.

»Da sich auch sorbische/wendische Bürgerinnen und Bürger immer wieder entsprechenden Anfeindungen ausgesetzt sehen, ist eine entsprechende Staatszielbestimmung sinnvoll«, heißt es in der Stellungnahme des Rates für sorbische/wendische Angelegenheiten. Aus diesem Grunde befürworte der Rat die vorgeschlagene Ergänzung in der Landesverfassung. Er verwies auf die in vergangenen geschichtlichen Epochen auch gegenüber Slawen betriebene Rassenpolitik.

Für den Zentralrat der deutschen Sinti und Roma nannte der Vorsitzende Romani Rose den ausdrücklichen Minderheitenschutz nicht nur einen großen Schritt für eine gleichberechtigte Anerkennung der Minderheiten als Bürger des Bundeslandes. »Er wird auch dazu beitragen, dass viele Sinti und Roma, die aus Furcht vor Benachteiligung im Beruf ihre Minderheitenzugehörigkeit nicht offen legen, motiviert werden, sich zu ihrer Identität zu bekennen.« Aus aktuellem Anlass wies Rose darauf hin, dass sich Sinti und Roma derzeit einer Hetzkampagne durch die rechtsextremistische NPD ausgesetzt sehen, »die es in diesem Ausmaß bisher nicht gab«. Bundesweit werden Sinti und Roma tausendfach mit Plakaten und Flugblättern bedroht und diffamiert, erklärte Rose.

Umstritten war in der Anhörung, ob in der Landesverfassung der Begriff »Rasse« Verwendung finden soll oder ob man besser von rassistischen Haltungen sprechen sollte. Der Begriff »Rasse« sei historisch schwer belastet und nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft nicht haltbar, unterstrich Professor Andreas Zimmermann vom Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam.

Biologen meinen heute, dass Unterschiede wie helle oder dunkle Haut, glattes oder krauses Haar und runde oder schmale Augen nicht ausreichen, um Menschen in Rassen einzuteilen wie Hunde oder andere Tierarten.

Auch wenn die Verfassungsänderung zunächst kaum direkte unmittelbare Auswirkungen auf Politik und staatliches Handeln nach sich ziehen werde, »kann künftig dieser Anspruch des Landes jederzeit angemahnt werden«, hält die grundsätzlich zustimmende Stellungnahme des Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien fest. Als »gewisses Problem« bleibe bestehen, »dass auch Rassismus ein Begriff ist, der unterschiedlich und kontrovers, bisweilen auch inflationär verwendet und diskutiert wird«. Ausdrücklich lobt das Mendelssohn-Zentrum das brandenburgische Handlungskonzept »Tolerantes Brandenburg«. Die »gerade im Vergleich der neuen Länder beachtlichen Anstrengungen« Brandenburgs gelte es »fortzusetzen und zu verstetigen«.

Die Staatsziele waren bei der Erarbeitung der brandenburgischen Verfassung Anfang der 1990er Jahre der umstrittenste Teil. Denn um individuell einklagbare Rechte handelt es sich dabei nicht. Zu glauben, das in der Verfassung verbriefte Recht auf Arbeit sei einklagbar, wäre ein Irrtum. Auch Antirassismus sei ein solches Staatsziel, dem also »kein grundrechtlicher Charakter beigemessen werden« könne, meint die Professorin Rosemarie Will von der Berliner Humboldt-Universität. Sie selbst gehörte zwischen 1996 und 2006 dem brandenburgischen Verfassungsgericht an, auf Vorschlag der SPD. Rosemarie Will zufolge ist fraglich, ob die neue Antirassismusklausel »entsprechend der in der Begründung dargelegten Ziele die Möglichkeit eröffnen wird, verfassungsrechtlich eine Untersagung von Aktivitäten rechtsextremer Gruppen zu ermöglichen«. Grundrechte könnten mit dem Verweis auf Staatsziele nicht ohne weiteres eingeschränkt werden. Solche Grundrechte »stehen grundsätzlich auch demjenigen zu, der sich in feindliche Haltung zum Grundgesetz stellt«.

Auch Verfassungsgerichtspräsident Jes Möller mochte die Staatsziele in der Landesverfassung nicht überbewerten. Er sagte, das eine oder andere Staatsziel könnte problemlos entfallen, ohne dass sich in Brandenburg grundsätzlich etwas ändern würde. Der neue Schutz von Minderheiten dürfe nicht nur auf dem Papier stehen, er müsse »vor Ort wirksam« sein und den konkreten Entschluss der Polizei mitbestimmen.

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