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Musikfest Berlin: Martha Argerich und Carolin Widmann konzertierten zum Abschluss

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Musikfest Berlin - zu den 24 Konzerten in nun beendeten Jahrgang kamen 35 000 Besucher - ist immer auch ein Treffen der Instrumentalsolisten. Da raunt es durch die Säle, wenn die nur auftauchen. Eingeladen werden freilich die besten. Daniel Barenboim erkor sich Martha Argerich aus. Sie genießt hohen Ruhm seit Jahrzehnten und musizierte mit der Staatskapelle Beethovens 1. Klavierkonzert. Perfetto. Glorioso. Obwohl es bei mehreren Einsätzen wackelte.

Der 1. Satz hat ein langes Orchestervorspiel, ehe die Klavierfinger ins Spiel kommen. Das muss eine Drangsal für den Ausübenden sein. Die Argerich, dem Auge entging es nicht, konnte den Einsatz kaum abwarten. Die Philharmonie tobte vor Wonne, als sie geendet hatte. Den Saal befiel fast ein metrisch organisierter Wutbeifall, der die Pianistin wieder und wieder ins Rampenlicht zurücktrieb. Das ist ein Zwangsmechanismus. Eine Zugabe folgte der nächsten. Dazwischen Beifall wie strömender Regen. Arme Frau.

Sehr löblich die Wiederbegegnung mit Kompositionen von Witold Lutosławski. Das Musikfest bediente den großen Polen anlässlich seines 100. Geburtstags fürstlich. Zu Recht. Stücke aus seinem sinfonischen Schaffen erklangen, Konzertwerke, Orchesterlieder. Lutosławskis »Mi-parti« kam im Staatskapellen-Konzert zu Beginn. Das Concertgebouworkest Amsterdam, Auftraggeber, führte das Orchesterwerk 1976 erstmals auf. Im gleichen Jahr erfolgte eine Wiedergabe zum »Warschauer Herbst.

«Mi-parti» - der Name kommt aus dem textilen Bereich und bezeichnet Gewänder mit sehr unterschiedlichen Musterungen und Färbungen - ist, grob gesprochen, auch so gearbeitet. Beinahe furchteinflößend die Auftritte der grummelnden Kontrabässe, Celli und Blechbläser im präludierenden Teil. Schnitt. Es folgen Muster aus der Tiefe heraus. Das Instrumentarium splittert auf. Solistisches regt sich und webt Farben über Farben. Die Technik der Aleatorik spielt hinein, verstanden als kontrolliert freies Spiel instrumenteller Kräfte. Schnitt. Neues Muster in Gestalt eines machtvollen Crescendos, das den ausgreifenden Schlussteil zum hochspannenden Ereignis macht. Der fordert die Triebe der Musiker geradezu heraus. Die Staatskapelle schien hier die Grenzen ihres Könnens beinahe zu überbieten. Am Ende macht sich das Stück, indem es die Zimbel des Schweigens, der Stille läutet, gleichsam aus dem Staube. Eindringlich die finale Wiedergabe von Verdis «Quattro pezzi sacri» im Verein mit dem vielleicht nicht immer ganz auf der Höhe seines Könnens scheinenden Rundfunkchor Berlin (Choreinstudierung Simon Halsey).

Soloabende wie den mit der Geigerin Carolin Widmann zum Musikfest dürften dem Einzelnen unverlierbar im Gedächtnis bleiben. Denn die Widmann, bescheiden, gescheit, selbstredend große Könnerin, bestechend ihre hohe Musikalität, hat so gar nichts von den Marotten jener handelsüblichen Virtuosen, die den Betrieb bevölkern. Überdies weiß sie, was sie spielt, und unterlässt die ästhetische Reflexion nicht. Widmann brachte drei moderne Stücke, jüngere, ältere, und einen J. S. Bach zu Gehör. Sämtlich ungemein fordernde Arbeiten, gedanklich, technisch, körperlich.

Die Wiedergabe von Bartóks großer Sonate für Violine solo, komponiert vom bitter armen Bartók in New York 1945, Auftraggeber Yehudi Menuhin, war schlechthin das Erlebnis des Abends. Ein bis dahin ungekannter kapitaler Wurf in vier kontrastierenden Sätzen. Carolin Widmann spielte das etliche Schwierigkeiten mitführende Werk mit besonderer Hingabe.

Bestechend nicht minder ihre Ausdeutungen der Piecen von Bernd Alois Zimmermann (Sonate) und Georg Friedrich Haas («de terrae fine»). Letztere ist ein raffiniert strukturiertes, sämtlich mögliche Effekte wohl kalkulierendes Klangstück. Mit Bachs Partita für Violine solo d-moll bekrönte die große Geigerin den unvergesslichen Abend.

Das nächste Musikfest Berlin findet vom 4. bis zum 22. September 2014 statt.

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