Merkwürdige Tiere

David Schalko irritiert und fasziniert

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

»David Schalko ist als Erzähler auch nicht rücksichtsloser als das Leben. Aber deutlich komischer.« - Das Statement des Verlags ist ein Understatement. Denn der Roman dieses Autors ist von so schonungsloser Schwärze, dass man nur immer staunen kann: Was für Verrücktheiten im Leben vorkommen, du zählst sie nicht. Und hier sind alle verrückt, und alle sind auch irgendwie traurig und sehnsuchtsvoll.

»Ihre Mutter hatte den Vater einmal als nervenkrank bezeichnet. Dabei war er einfach nur unglücklich gewesen« - die beiden Sätze etwa in der Mitte des Buches kann man ernst nehmen, aber nicht allzu sehr. Denn, wie gesagt, komisch sollte das Buch nach des Autors Willen unbedingt sein. Hinter dem schwarzen Schutzumschlag versteckt sich atemberaubende Buntheit. Immer mal wieder greift man sich beim Lesen an den Kopf und möchte doch nicht unterbrochen werden, geschweige denn aufhören.

David Schalko:

Knoi. Roman. Jung und Jung. 271 S., geb., 22 €.

Ein »Knoi« - das ist einer, der selten Initiative zeigt, vor allem, wenn es um Dinge des Alltags geht, ein freundliches Wesen, stets von einer gewissen Müdigkeit geplagt. Vielleicht ist Jakob, der »Knoi«, dem Autor ja am nächsten. Und vielleicht hätte sich das Romangeschehen überhaupt nicht so turbulent entwickelt, wenn der »Knoi« Jakob bei seiner Verlobten Rita, der »Faha«, geblieben wäre. Dann hätte er nicht Jeniffer, eine »Zonz« kennengelernt, hätte sich nicht die Schuld geben müssen, dass die nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Und Rita wäre nicht mit Lutz zusammen, einem Zahnarzt, aber eigentlich einem »Waks«, der unter einem Waschzwang leidet, damit er nach gar nichts mehr riecht und der nur kann, wenn Frauen nicht bei Bewusstsein sind.

Und vielleicht wäre auch Max nicht auf der Welt, der mit seinen fünf Jahren den Erwachsenen solche ausgedachten Tiernamen gibt und sich selber mal als Ente, mal als Giraffe begreift, jeden Tag als ein anderes Tier. Eines Tages dann gräbt er mit seiner roten Kinderschaufel eine Leiche aus, die von Jennifer nämlich (Sexunfall mit Lutz, der die Querschnittsgelähmte mit Propofol betäubte, dem Narkosemittel, das auch Michael Jackson tötete). Dabei hatte Max eigentlich seinen Hund Luise unter die Erde bringen wollen, der nur in seiner Vorstellung gelebt hatte, aber die ganze Familie musste mitspielen. Ein virtueller Hund, der nun tot ist.

Ziemlich abgefahren das Ganze. Österreicher hätten »eine sehr rücksichtslose Selbstsicht«, erklärte David Schalko kürzlich in einem Interview. Der 40-Jährige ist nicht nur Autor mehrerer Bücher, er ist vor allem auch ein erfolgreicher Regisseur, der zahlreiche Fernsehsendungungen konzipierte. Ein Mediengewiefter, der es schafft, dass man immer weiter lesen will, obwohl man schon sehr früh begreift, dass jede, aber auch jede der literarischen Gestalten hier in ihrer eigenen geschlossenen Anstalt sitzt, selbst diejenigen, die nur in Episoden vorkommen. Alle wollen sie da raus und zuein-ander, aber es gelingt nur für strahlend jämmerliche Momente.

Das sei ein »Zazuuuz«, meinte Max, nicht zu überwinden, nicht wegzureden, man könne lediglich lernen, damit umzugehen. Die Beziehungskrise ist allumfassend, die Unfähigkeit nicht zu beheben. Also wird das Quälende sublimiert in schwarzem Humor und in überbordender Phantasie, ist betäubt im Spiel, auch noch die absurdesten Situationen zu erfinden.

»Wir haben uns immer nur wie erfunden gefühlt«, bekennt Lutz seiner ebenfalls verrückten Psychotherapeutin. Den großen Bergen von Literatur zum Thema Fremdheit und Einsamkeit legt David Schalko noch ein funkelndes Steinchen obendrauf. Suggestive Sprache, szenisch faszinierendes Erzählen - und am Schluss ein phantastischer Showdown mit einem Kommissar, der wie aus dem Fernsehen wirken will und sich sofort in Rita verliebt. Nichts für lebensernste Leute und moralisch zart besaitete Gemüter.

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