nd-aktuell.de / 16.10.2013 / Politik / Seite 5

Wiedergewählter IG-BCE-Chef Vasiliadis für Große Koalition

Delegierte auf Gewerkschaftstag in Hannover wählten neuen Hauptvorstand / Langjähriger Vize Ulrich Freese wechselt für SPD in den Bundestag

Jörg Meyer
Noch bis Freitag tagt die drittgrößte deutsche Gewerkschaft in Hannover. 400 Delegierte vertreten dort die rund 661 000 Mitglieder.

Leere Delegiertentische, um die Sitzreihen im hannoverschen Congress Centrum bildet sich eine Gratulationspolonaise. Delegierte schütteln die Hand, sagen einige Worte, Schulterklopfen, Umarmungen - der Eigentümer der Hand dürfte am Abend ein leichtes Ziehen im Schüttelarm verspürt haben. Zum zweiten Mal wurde Michael Vasiliadis am Dienstag zum Bundesvorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) gewählt. Er erhielt von den 400 Delegierten 99,2 Prozent der Stimmen und konnte sein Ergebnis von 2009 noch steigern.

Auf der Pressekonferenz nach den Vorstandswahlen, die den gesamten zweiten Kongresstag in Anspruch nahmen, sprach sich der neualte Vorsitzende der IG BCE, der seit seinem 18. Lebensjahr SPD-Mitglied ist, für eine Große Koalition aus: »Gerade auf den politischen Feldern, die für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Bedeutung sind, könnte eine Große Koalition aus Union und SPD viel bewegen.« Schwarz-Grün wäre »sicherlich schwerer verdaulich«. Nach der Bundestagswahl sei eine »deutlich anders akzentuierte Politik möglich. Eine Politik, die insbesondere Fehlentwicklungen in der Arbeitswelt zum Thema macht.«

Der 5. ordentliche Gewerkschaftstag der IG BCE steht unter dem Motto »Zeit, weiter zu denken«. Schwerpunkte liegen bei den Themen Europa, Arbeit und Energie. In seiner Eröffnungsrede hatte Vasiliadis erneut die Krisenpolitik von Schwarz-Gelb kritisiert. Die einseitige Sparpolitik sei nicht dazu geeignet, »Europa aus der Krise zu führen«. Es brauche »eine neue Balance in der Europapolitik, die Wachstumsimpulse setzt und Arbeitsplätze schafft«. Die in Europa herrschenden Verhältnisse seien »absolut unvereinbar mit unserer Vorstellung von fairen und anständigen Arbeits- und Lebensbedingungen«, so Vasiliadis.

Für den bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Ulrich Freese wählten die Delegierten am Dienstag mit 97,8 Prozent Edeltraud Glänzer. Damit übernimmt erstmals eine Frau die Rolle der Vizechefin. Die 58-Jährige war im geschäftsführenden Hauptvorstand bislang zuständig für die Bereiche Mitglieder, Zielgruppen und Bildung. In ihrer Rede zum Geschäftsbericht forderte Glänzer: »Bildung muss endlich Bundessache werden.« Dazu gehörten unter anderem Konzepte für mehr Gerechtigkeit durch gleiche Bildungschancen - unabhängig von der sozialen Herkunft.

Der Tarifexperte Peter Hausmann und Egbert Biermann, zuständig in der IG BCE für den Arbeitsmarkt und Umwelt, wurden mit 92,7 beziehungsweise 77,6 Prozent in ihren Ämtern bestätigt. Neu im Vorstand ist Ralf Sikorski (94 Prozent), der bislang den Landbezirk Rheinland-Pfalz/Saarland geleitet hatte.

Ulrich Freese wechselt nach acht Jahren als Gewerkschaftsvize in den Bundestag, in den er über die SPD-Landesliste Brandenburg gewählt wurde. »Die Politik setzt den Rahmen, innerhalb dessen wir arbeiten«, sagte der sichtlich bewegte Freese bei seiner Abschiedsrede. Er wolle in diesem Bereich auch noch einmal tätig werden. Der gelernte Betriebsschlosser aus Nordrhein-Westfalen arbeitete seit Jahrzehnten hauptamtlich für die Gewerkschaft. Im Jahr 1990 ging er nach Ostdeutschland und leitete bis 1997 den Landesbezirk Brandenburg/Sachsen. Von 1994 bis 2004 war er zudem Abgeordneter im brandenburgischen Landtag.

»Der hat ja gleich die ganze Mannschaft mitgenommen«, sagte Vasiliadis, denn vier weitere Hauptamtliche wechseln ebenfalls in den Bundestag. In der neuen SPD-Fraktion sind danach 38 der 192 Abgeordneten Mitglieder der IG BCE. Vier weitere wurden für die CDU gewählt. Zum Vergleich: Nach Zahlen der SPD sind 46 Abgeordnete in ver.di und nur neun in der IG Metall organisiert. Es seien aber noch nicht alle Fraktionsmitglieder erfasst, hieß es aus der Fraktionspressestelle.

Die IG BCE entstand 1997 aus der Fusion der IG Bergbau und Energie mit der IG Chemie-Papier-Keramik und der Gewerkschaft Leder. Die Organisation mit ihrem Hauptsitz in Hannover hat nach eigenen Angaben 661 000 Mitglieder. Laut den Zahlen des DGB waren es Ende 2012 noch 668 000. Die IG BCE pflegt in Tarifrunden eher die Sozialpartnerschaft denn die Auseinandersetzung. Warnstreiks oder Streiks wie zuletzt beim Verpackungshersteller Neupack in Hamburg sind die Ausnahme. Der Gewerkschaftstag dauert noch bis Freitag an. Am heutigen Mittwoch wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als Rednerin erwartet.