Prekäres Ehrenamt

Trotz knapper Finanzen halten acht Seniorinnen ihren Freizeitclub in Mitte am Laufen

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Bezirk Mitte hat kein Geld. Vor allem nicht für seine Senioren. Dass die letzte Einrichtung in bezirklicher Trägerschaft nach wie vor geöffnet ist, liegt am Einsatz ihrer Nutzer.

Wuchtig erhebt sich das Hochhaus an der Spandauer Straße direkt gegenüber dem Roten Rathaus in Mitte empor. Vor der Tür lärmt der dichte Innenstadtverkehr. Im regelmäßigen Rhythmus ertönt die schrille Signalglocke der Straßenbahn. An einem solch hektischen Ort vermutet man gemeinhin keine Freizeiteinrichtung für Senioren. Doch hier, im 3. Stock des gut 60 Meter hohen Gebäudes, im unmittelbaren Herzen Berlins, haben sich ältere Menschen einen Freiraum erhalten. Und das bereits über Jahre hinweg. Erst gestern feierten die Senioren aus der Freizeitstätte Spandauer Straße mit Musik und Tanz ihr 19-jähriges Bestehen.

Dass die Einrichtung überhaupt noch ihr vielfältiges Programm von Gymnastikkursen, Spielrunden und Kulturveranstaltungen anbieten kann, ist keineswegs selbstverständlich. Der Bezirk Mitte hat aufgrund der leeren Haushaltskassen in den letzten Jahren rigoros Senioreneinrichtungen geschlossen oder privatisiert. Das Freizeitobjekt in der Spandauer Straße ist das letzte noch in bezirklicher Trägerschaft verbliebene. Der Grund für die nach wie vor mögliche Nutzung: Acht Seniorinnen zwischen 60 und 84 Jahren halten den Betrieb ehrenamtlich am Laufen. »Wir führen unseren Laden hier völlig selbstständig. Das Geld für Lebensmittel, Spielkarten und Musikerauftritte erwirtschaften wir ebenfalls. Mit der Zeit konnten wir so eine richtige kleine Haushaltskasse zusammentragen«, erklärt eine der Ehrenamtlichen gegenüber »nd«. Ihren Namen möchte die Frau, die sich bereits seit 18 Jahren in der Einrichtung engagiert, nicht in der Zeitung lesen. Sie sei schließlich nicht die Chefin, sondern nur eine von vielen.

Während das Bezirksamt noch die Kosten für Miete, Wäsche und Betriebskosten übernimmt, wurde bereits vor neun Jahren die hauptamtliche Leiterin eingespart. Seitdem leitet das achtköpfige Team die Freizeitstätte. »Es ist wirklich bewundernswert, was die ehrenamtlich tätigen Seniorinnen leisten. Pro Monat nutzen 300 bis 400 Menschen die Angebote der Einrichtung. Es kommen auch Gäste aus den geschlossenen Freizeitclubs aus der Umgebung hierher«, sagt Christine Klotzek. Die Anwohnerin aus dem Kiez unterstützt die Ruheständler seit einiger Zeit und hilft ihnen bei der Programmplanung. Dauerhaft gesichert ist der Betrieb der Seniorenfreizeitstätte auch trotz des Engagements so Vieler nicht. Ende September nächsten Jahres läuft der Mietvertrag aus. Wenn die Eigentümergesellschaft die Miete erhöhen sollte, wird auch die letzte Seniorenfreizeiteinrichtung in Mitte schließungsbedroht sein.

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