Shoppen auch ohne Geld

In Sachsen-Anhalt findet ein »Schenkladen« auf dem flachen Land seine Kunden

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Im anhaltischen Deetz bei Zerbst öffnete letztes Jahr ein kleines Landwarenkaufhaus, das im Grunde keines ist: Alles, was es in diesem »Schenkladen« gibt, kann der Kunde kostenlos mitnehmen.

Sören Heise ist Sozialpädagoge. Beruflich widmet er sich der Gewaltprävention, wird für Seminare und Workshops von Organisationen und Behörden gebucht. Der 34-jährige lebt in einem verwaisten Bahnhof, den er sich mit Partnerin Uta Eggerstedt und einer Handvoll Freunde zu einer Art liebevoll-weltentrückten Heimstatt ausgebaut hat.

Zum Anwesen gehört eine selbstgezimmerte hölzerne Freiterrasse, die beiden auch als Seminardiele dient. Während hier die gelernte Gärtnerin, die am Haus einen ungemein vielfältigen Biogarten betreibt, dann über Humus, ökologische Bodenpflege und Selbstheilungskräfte der Natur berichtet, bestellt Heise seine Parzellen: gewaltfreie Kommunikation, Wildnispädagogik oder ausgewogen-lebendige Dorfkultur.

Sein jüngstes Beet heißt Schenkökonomie - und das beackert er gemeinsam mit weiteren Mitstreitern des von ihm geleiteten Vereins Coyote e.V. Deetz nicht nur theoretisch. Denn letztes Jahr eröffnete im alten Speicher neben der ehemaligen Bahnstation auch eine Art Umsteigebahnhof für Gebrauch(t)sgegenstände aller Couleur. »Schenkladen« nennt er sich. Denn wer von hier etwas mitnimmt, zahlt nichts. Und wer etwas bringt, erhält auch keinen Cent. Der gebürtige Magdeburger empfindet jene Börse, die im Grunde keine ist, eher als »Forschungsraum für einen gesellschaftlichen Wandel«. Er setzte mit ihr eine schon lange in seinem Kopf kreisende Idee um, wonach Leute jene Sachen, die sie nicht mehr benötigen, anderen kostenlos überlassen. »Schenken ist doch eine schöne Geste menschlichen Handelns«, sagt er. Sie verbinde das Bedürfnis nach Wohlstand und Sicherheit mit dem Gefühl, Sinnvolles zu tun und hierzu Verbindungen mit anderen Menschen einzugehen.

Beitrag zum Frieden

»Dankbarkeit, Großherzigkeit, Verständnis, Solidarität - all jene Werte, die für viele zu einen guten Leben gehören, spiegeln sich im Schenken wider«, ist er sicher. Denn bei ihnen schenke man »aus der Freude heraus, nicht aus irgendeinem Hintersinn«. So sei ihr Laden auch ein »Beitrag zum Frieden und zum Ausgleich in dieser Gesellschaft«. Es habe doch auch »etwas Ent-Spannendes«, meint er auch unter Bezug auf seine Anti-Gewalt-Seminare, »nicht immer etwas leisten zu müssen, um teilhaben zu können«.

Immerhin überzeugte der Verein mit diesem Ansatz selbst die bekanntlich eher klamme Regierung Sachsen-Anhalts. Denn für den Aufbau des Schenkladens gab es Fördergelder aus einem Landesprogramm zur Regionalentwicklung. Auch in Deetz selbst knüpfte die Gruppe aus Zugezogenen und Alteingesessenen längst gedeihliche Kontakte, etwa zum Bürgermeister, zu den Parteien, zu anderen Vereinen. Und ebenso zu vielen Mitmenschen, »die sich einfach freuen, dass in einer Zeit, wo auf dem Lande fast nur noch etwas schließt - Schule, Kita, Post, Dorfkneipe oder Konsum - plötzlich mal wieder etwas Neues öffnet«, so Heise.

Das Modell funktioniert

Zugleich hält er es für keinen Zufall, dass dieses Modell gerade in einem Dorf funktioniert: Hier trügen manche soziale Geflechte eben noch anders. Ein Blick ins Ladeninnere macht denn auch sprachlos: Kleider, Bücher, technische Geräte, Spielzeug, Möbel, Haushaltdinge füllen den ganzen großen Raum. Das allermeiste hier im Laden wirkt noch gut erhalten. »Alles Sachen, die Menschen von ihrem Überfluss hergeben, damit sie weiter benutzt werden - statt dass immer Neues produziert wird und man Brauchbares wegwirft«, umreißt er das Credo des Kommunikationstreffs. Die Dinge sollten halt weiter »ihren Zweck erfüllen in den Händen derer, die sie wirklich brauchen«.

Damit wären denn letztlich auch »für die nächsten sieben Generationen, wie es bei Nordamerikas Indianern heißt, genug Ressourcen für ein gutes Leben auf dieser Erde vorhanden«, schlägt Sören Heise zugleich einen Bogen zum Namen ihres Vereins. Denn der Kojote, ein kleiner, findiger Wildhund der Prärie, erinnere die Menschen stets daran, dass »das Leben in Veränderung ist und das Unerwartete hinter jeder Ecke lauert«, erläutert Heise. Foto: H. Lachmann

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