nd-aktuell.de / 22.10.2013 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Schlachter wollen Mindestlohn

Gewerkschaft und Arbeitgeber der Fleischwirtschaft verhandeln ab heute über Tarifvertrag

Jörg Meyer
Die Fleischwirtschaft machte in diesem Jahr vor allem durch miese Arbeitsbedingungen und die katastrophale Unterbringung ausländischer Arbeiter von sich reden.

Unterirdische Löhne, schlimme Arbeitsbedingungen, Scheinwerkverträge: Die Fleischindustrie hat in den letzten Monaten medial viel Aufmerksamkeit bekommen. Gute Nachrichten suchte das Publikum jedoch vergebens. Am Dienstag beginnen die Verhandlungen für einen Branchenmindestlohntarifvertrag.

»Wir versuchen seit Jahren, Ordnung in die Branche zu bringen«, sagte der Vizevorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und Verhandlungsführer, Claus-Harald Güster, auf nd-Anfrage. Im Juli hatte die Gewerkschaft die Branche zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Durch die Veröffentlichungen über die Unterbringung rumänischer Arbeiter und durch den Bundestagswahlkampf, in dem Arbeit und soziale Gerechtigkeit zentrale Themen waren, sei der Druck auf die Arbeitgeber sehr gestiegen - wenngleich durch einen Branchenmindestlohn der gesetzliche Mindestlohn nicht weniger wichtig werde, betonte Güster.

Die Gewerkschaft und der Verband der Ernährungswirtschaft (VDEW) setzen sich heute in Hannover zusammen, um über eine Lohnuntergrenze für die nach Angaben des Bundesarbeitsministerium vom Juni 2012 insgesamt rund 181 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zu verhandeln. Mitgezählt sind die geringfügig Beschäftigten, es fehlen allerdings diejenigen, die mit einem Werkvertrag in der Tasche in den Schlachthof gehen und beispielsweise den Auftrag haben, 1000 Schweine zu schlachten. Deren Zahl ist nicht bekannt und auch kaum herauszufinden, denn Werkverträge sind nicht meldepflichtig.

Laut einer NGG-Umfrage unter Betriebsräten waren 2012 rund 62 Prozent der in der Fleischindustrie Tätigen - Schlachtung oder Verarbeitung - über Werkverträge oder Leiharbeit beschäftigt. In den Schlachthöfen sei der Missbrauch von Werkverträgen besonders groß, heißt es seitens der NGG. Man gehe davon aus, dass beim Marktführer Tönnies bis zu 90 Prozent der Beschäftigten Werkvertragsnehmer sind. Tarifverträge? Fehlanzeige. Lediglich in der Fleischverarbeitung gebe es vereinzelt Haustarifverträge. Bei den Schlachtereien sieht es düster aus. Während ein Facharbeiter mindestens 9,71 Euro pro Stunde verdient, bekommen Werkvertragsnehmer nach NGG-Informationen zwischen drei und sechs Euro, im Einzelfall noch weniger.

»Was die Werkverträge angeht, war die Branche über Jahre ein rechtsfreier Raum«, sagt Claus-Harald Güster. Über lange Zeit habe es zudem keinen Arbeitgeberverband gegeben, mit dem man hätte verhandeln können. Die Verhandlungen jetzt sieht der Gewerkschafter als »Einstieg«. Die NGG fordert 8,50 Euro brutto Stundenlohn - ohne Ost-West-Unterschied. Die Vorstellungen des VDEW waren bis Redaktionsschluss dieser Seite nicht in Erfahrung zu bringen.

Die Branche teilen im Wesentlichen vier große Konzerne unter sich auf: die Vion Food Germany (Umsatz 2011: 3,9 Milliarden Euro), die PHW Gruppe, zu der die Wiesenhof Schlachtereien gehören (2,2 Milliarden), Westfleisch (2,2 Miliarden) sowie Branchenprimus Tönnies (4,6 Milliarden). Die NGG geht von einem Verlust an regulären Arbeitsplätzen von mindestens 20 Prozent in den letzten Jahren aus, der von Leiharbeit und Werkverträgen aufgefangen wurde - bei steigenden Umsätzen und steigender Produktion. In den letzen Jahren stiegen besonders die Exportzahlen an, was zu Beschwerden über deutsches Lohndumping von mehreren EU-Nachbarstaaten geführt hat. Denn in diesen werden höhere Löhne gezahlt bzw. es gibt dort einen gesetzlichen Mindestlohn.

Das Bundesarbeitsministerium steht nach eigenen Angaben mit der NGG und den Arbeitgebern »im intensiven Kontakt«. Das erklärte Ziel sei der Abschluss eines Mindestlohntarifvertrages, der dann nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz für allgemeinverbindlich erklärt werden soll. Denn: »Die Ausnutzung von Werkverträgen zum Unterlaufen von Arbeitsbedingungen ist nicht akzeptabel«, sagte ein Sprecher.

Überdies hat das Ministerium von Ursula von der Leyen einen Vier-Punkte-Plan verabschiedet. Danach soll neben dem Branchenmindestlohn ein Kodex über faire Arbeitsbedingungen von den Tarifparteien verabschiedet werden. Überdies soll das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz dahingehend geändert werden, dass der Abschluss von Scheinwerkverträgen wirtschaftlich unattraktiver wird sowie verdeckte Kontrollen verstärkt und Sanktionen verschärft werden, um so missbräuchliche Leiharbeit oder Scheinwerkverträge aufzuspüren.