Schulterror, Seelenpein, Jesusgeschenke

Der britische Sänger Morrissey hat seine Memoiren veröffentlicht und damit die Spitze der Amazon-Charts gestürmt

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Wahrheit» sei, «dass kein britischer Politiker jemals mehr gehasst wurde von den Briten als Margaret Thatcher», sagte der Sänger Morrissey nach dem Tod der erzkonservativen Radikalkapitalistin und Superschreckschraube. Da waren viele Briten und Britinnen erleichtert und dankbar, dass es unter all den Trauer Heuchelnden einen Künstler gab, der offen sprach.

Auch sonst gibt der Nörgler häufig erfrischende Kommentare zum Zeitgeschehen ab, so wenn er beispielsweise über Angehörige der königlichen Familie mitteilt, diese seien «als Personen so öde, dass es eigentlich unmöglich ist, über sie zu sprechen». Den einstigen Frontmann der legendären linken Band «The Smiths», der heute als überspannte Diva, Lautsprecher der Erniedrigten und pathetischer Tierschutzbeauftragter bekannt ist und sich auch schon mal vertraglich zusichern lässt, dass die Umgebung seines Auftrittsorts vollständig fleischfrei zu sein hat («Das einzige, das brennt, möge mein Herz sein»), muss man eigentlich liebhaben, so wie man ein süßes, kleines Katzenbaby oder einen süßen, kleinen stalinistischen Diktator liebhat. Dem konservativen Premierminister Cameron, zu dessen Vorlieben die Jagd gehört, hat er vor einigen Jahren streng verboten, die Musik der Smiths («Meat is Murder») zu hören bzw. zu mögen. Ein Vorbild, das Schule machen sollte.

Wenngleich in der Vergangenheit auch mal das eine oder andere verstörende Quatschstatement aus ihm herauspurzelte: «Ich denke, dass Krieg der negativste Aspekt männlicher Heterosexualität ist. Wenn mehr Männer homosexuell wären, gäbe es keine Kriege, weil homosexuelle Männer keine anderen Männer umbringen.» Für eine Schlagzeile jedenfalls ist der meist dandyhaft auftretende Alleinunterhalter immer gut.

Jetzt ist in Großbritannien seine 480 Seiten umfassende Autobiographie erschienen. Und wie Patrick Morrissey sich das gewünscht hat, wird das Buch vom renommierten Verlag Penguin in dessen Klassiker-Reihe «Penguin Classics» herausgegeben, in der man etwa auch die Werke von Jane Austen, Charles Dickens und der antiken Philosophie findet.

Das ist lustig. Man stelle sich einmal vor, dergleichen geschehe hierzulande: Die Memoiren des Liedermachers und Vegetariers Reinhard Mey erschienen in der Reclam-Universalbibliothek und stünden in den Regalen der Universitätsbuchhandlungen als gelber 500-Seiten-Backstein neben Goethes «Faust» und Storms «Schimmelreiter».

Folgt man dem «Guardian», ist das Buch, wie heute üblich, zwar schlampig lektoriert, aber in seinem ersten Drittel, in dem es um Morrisseys deprimierende Kindheit und Schulzeit im ärmlichen, maroden Manchester der 60er Jahre geht, großartig. Schulterror, Seelenpein, Selbstzweifel. «In einigen Passagen kann man beinahe das Milieu schmecken», heißt es.

Später geht es auch um die Smiths. Morrissey schreibt: «Bombenexplosionsartiges Schlagzeugspiel, explosive Akkorde, kämpferische Basslines, und ich bin so frei wie ein Falke, die Leinwand so zu bemalen, wie ich will. Das ist ein Geschenk von Jesus.»

Naja, wie die Weltliteratur der Zukunft liest sich das nicht gerade.

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