Wie viele Abmahnungen können eine Kündigung auslösen?

Arbeitsrecht

  • Lesedauer: 4 Min.
Für eine Kündigung muss ein Wiederholungsfall hinsichtlich eines abgemahnten Verhaltens vorliegen. Leider gibt es keine Formel, die etwa so lautet: Kündigung = x-Abmahnungen.

»Denn jede Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist eine Einzelfallentscheidung, bei der eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen wird. Dabei sind zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen, die zum Teil auch noch unterschiedlich starken Einfluss haben können«, erklärt der Fachanwalt für Arbeitsrecht, Massimo de La Riva, von der SNP Schlawien Partnerschaft in Düsseldorf. Er geht nachfolgend auf die Problematik näher ein.

Umstände des Einzelfalls sind zu berücksichtigen

Ob und gegebenenfalls wie viele Abmahnungen ein Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung erwarten darf, hängt zunächst davon ab, um welches Fehlverhalten es geht.

Auszugehen ist von § 314 BGB. Danach ist ohne Abmahnung eine fristlose Kündigung möglich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Typische Fälle sind:

- schwerer Vertrauensbruch (zum Beispiel Griff in die Kasse, Unterschlagung, Spesenbetrug);

- schwerwiegende Störungen des betrieblichen Zusammenlebens (zum Beispiel eigenmächtiger Urlaubsantritt, Beleidigungen);

- Fehlverhalten, mit dessen Billigung der Arbeitnehmer nicht rechnen durfte (zum Beispiel gezielte Geschäfts- und Rufschädigung).

»Andernfalls muss dem Arbeitnehmer Gelegenheit gegeben werden, sein Fehlverhalten zu erkennen und dies zur Vermeidung einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses umzustellen. Dies geschieht mittels einer Abmahnung. Diese kann mündlich erteilt werden, sollte aus Gründen der Beweissicherung aber immer schriftlich erfolgen«, führt Rechtsanwalt de La Riva dazu weiter aus.

Eine wirksame Abmahnung, die von einem Vorgesetzten unterschrieben worden sein muss, sollte präzise formuliert sein und nachstehende Bestandteile aufweisen:

- Beschreibung des konkreten Fehlverhaltens mit Angabe von Datum, Ort und Zeit;

- Hinweis auf die Vertragswidrigkeit des Verhaltens verbunden mit der Aufforderung, künftig das vertragswidrige Verhalten einzustellen;

- Androhung einer Kündigung für den Wiederholungsfall.

Die Abmahnung sollte auch möglichst kurz nach dem abzumahnenden Vorfall erfolgen, um allein dem Eindruck entgegen zu wirken, dass nicht händeringend eine Kündigung vorbereitet werden soll. Allerdings sollte umgekehrt nicht jeden Tag eine neue Abmahnung für ein Dauerfehlverhalten (zum Beispiel nicht eingereichte Krankmeldung) ausgesprochen werden, um anschließend eine hierauf basierende Kündigung nachzuschieben.

Der Arbeitnehmer muss die tatsächliche Gelegenheit bekommen, sein Verhalten umzustellen. Das kann er nicht, wenn ihm die Kündigung bereits zugeht, wenn er gerade mal die erste Abmahnung lesen konnte.

Ein Stolperstein: der Wiederholungsfall

Wichtig ist der Hinweis, dass einer Kündigung nicht der gleiche Sachverhalt zugrunde liegen darf, der schon abgemahnt wurde: »Durch die Abmahnung gilt das Kündigungsrecht als verbraucht. Nur ein neuer gleichartiger Verstoß eignet sich dann für eine Kündigung.«

Daher ist davon abzusehen, dem Arbeitnehmer pauschal wegen diverser Abmahnungen zu kündigen, die mit dem Anlass zur Kündigung nichts zu tun haben. Es gilt nicht »Masse statt Klasse«. Es muss ein Wiederholungsfall hinsichtlich eines abgemahnten Verhaltens vorliegen.

An dieser Stelle verbirgt sich noch ein weiterer Stolperstein: Eine einige Jahre alte Abmahnung reicht grundsätzlich nicht mehr, einen Wiederholungsfall für eine Kündigung zu konstruieren. Denn ein längerer Zeitraum ohne Zwischenfall rechtfertigt die Annahme, dass sich der Arbeitnehmer rehabilitieren konnte. Vielmehr ist dann an den Ausspruch einer neuen Abmahnung zu denken, um das »Gedächtnis aufzufrischen«.

Eine nicht unerhebliche Rolle spielen auch die Auswirkungen des Fehlverhaltens auf den Betrieb. Beispielsweise trifft das Zuspätkommen des Arbeitnehmers einen Arbeitgeber, der nicht punktgenau seine Leistung abliefern muss, nicht so hart wie Betriebe, bei denen das Gegenteil der Fall ist. Dies heißt nicht, dass der Arbeitgeber dies dulden muss. Vielmehr sollte dann an eine erneute Abmahnung gedacht werden. Entsprechendes gilt für den Fall, wenn ein Arbeitgeber jahrelang die Zügel hat schleifen lassen, dies aber ändern möchte.

Dem Arbeitnehmer noch einmal eine Chance geben?

Da weitere Faktoren wie etwa die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder die bisherige Qualität der Leistung des Arbeitnehmers bei der Interessenabwägung eine Rolle spielen, sollte immer an weitere Abmahnungen gedacht werden, je mehr der Faktor für den Arbeitnehmer spricht.

Der über das Verhalten des Arbeitnehmers verärgerte Arbeitgeber sollte sich allerdings bei der Beurteilung der Sachlage stets dazu zwingen, sich in die Rolle eines Dritten zu versetzen. Er muss sich die Frage stellen: Würde ein verständiger Arbeitgeber dem Arbeitnehmer noch einmal eine Chance geben oder nicht?

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