Gabriel mahnt Berliner SPD zum Nachdenken in Koalitionsfrage

Bundesvorsitzender verteidigt Verhandlungen mit Union / Landeschef Stöß fordert rot-rot-grüne Machtoption für 2017

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Beim Landesparteitag der Berliner SPD stellte sich der Bundesvorsitzende der Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, der Kritik an einer möglichen Koalition mit der CDU/CSU. Das schwache Ergebnis bei der Bundestagwahl brachte der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß mit der fehlenden Machtoption über Rot-Grün hinaus zusammen – dies dürfe nie wieder vorkommen. Kontroverse zum Energie-Volksentscheid.

Der Auftritt des Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel an diesem Sonnabend bei der Berliner SPD im Congress Center am Alexanderplatz war mit Spannung erwartet worden. Eineinhalb Wochen nach Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der CDU stellte sich der Bundesvorsitzende dem Berliner Landesverband, der einer Großen Koalition im Bund besonders kritisch gegenüber steht. Um es gleich vorweg zu nehmen: Gabriel stellte sich den Vorbehalten, nahm sich alleine 45 Minuten Zeit, um auf jeden einzelnen Redebeitrag der Delegierten zu reagieren. Nur einmal pappt er bei einem Zwischenruf zu Anfang seiner Rede zurück: »Wenn ihr alles schon wisst, lasst mich nach Hause fahren.« Ansonsten agierte der SPD-Bundeschef eher besonnen und selten emotional. Er regte vielmehr zum Nachdenken an, auch alte Gewissheiten zu überdenken.

In seiner Argumentation skizzierte Gabriel den Weg, wie die Spitze der Sozialdemokraten der Basis vor dem Mitgliederentscheid ein Bündnis mit der Union und Angela Merkel schmackhaft machen dürfte: »Wer erwartet, wir machen das nur, wenn Merkel unten rechts das SPD-Programm unterschreibt, der schickt uns auf die falsche Reise«, betonte er. Und: Wer alles oder nichts fordert, riskiert, dass sich für die Menschen real nichts ändert, nur weil man sich unwohl fühle.» Am Ende gehe es um eine Güterabwägung: Verbesserungen für die Menschen oder die eigenen Prinzipien hochzuhalten. Dies würden auch die besonders die deutschen Gewerkschaften von den Sozialdemokraten einfordern, aber auch die sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien aus dem europäischen Ausland, die sich beispielsweise entgegen des SPD-Programms für das Stützen von Großbanken einsetzen. Der eigenen Partei riet Gabriel zur mehr Selbstbewusstsein: «Wenn wir zeigen, dass wir zu viel Schiss vor einer Koalition mit der CDU haben, ist 20 Prozent nicht die untere Grenze.» Aus seiner Sicht stehe die SPD an einer Schwelle, die über das Schicksal der nächsten 20 oder 30 Jahre entscheide. Dass die SPD-Mitgliedschaft bei einem guten Verhandlungsergebnis in einem Mitgliederentscheid einer Großen Koalition stimmt, hält der Bundesvorsitzende indes so gut wie sicher. «Dass die Mitglieder entscheiden, wird eine Spaltung der SPD verhindern», erklärte Gabriel, der das Beteiligungsverfahren als Standards setzend einschätzte – auch für andere Parteien wie die CDU.

Während der Bundesvorsitzende seine Partei auf eine Große Koalition einstimmte, forderte der Berliner SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß unter großem Klatschen, eine rot-rot-grüne Machtoption in den kommenden vier Jahren für 2017 vorzubereiten. «Es darf nie wieder dazu kommen, dass wir zur Freude der Union über dieses Stöckchen springen, dass wir nicht mit der LINKEN reden.» Für die laufenden Verhandlungen zu einer Großen Koalition kündigte Stöß an: «Wir werden uns sehr genau ansehen, ob sich das, was wir in unserem Wahlprogramm gefordert haben, auch wiederfindet.» Aus seiner Sicht sind dabei auch die zwei entscheidenden Punkte zu berücksichtigen: In dieser Legislatur eine gerechte Altersversorgung in Ost und West sowie die doppelte Staatsbürgerschaft durchzusetzen. Ansonsten verliere die SPD eine ganze Generation von Rentnern und jungen deutschen Migranten, so Stöß.

In seiner Rede ging der SPD-Landesvorsitzende auch auf den für den morgigen Sonntag vorgesehen Volksentscheid zur Energie ein. Stöß reklamierte einmal mehr die Rekommunalisierungs-Politik für die Sozialdemokraten, die auf ihrem Dahlemer Parteitag 2010 die Weichen für den Rückkauf der Wasserbetriebe gestellt hätten. Dass es keine sinnvolle Lösung zur Gründung eines Stadtwerks und der Übernahme der Stromkonzession gegeben habe, schob Stöß auf die Union und die Bürgerinitiative Energietisch: «Es ist an der Kompromisslosigkeit des Energietisches und am Widerstand der CDU gescheitert.» Die Abstimmung am Sonntag, zu der alle Wahlberechtigten in Berlin aufgerufen sind, erklärte der Landevorsitzende mit Verweis auf die Stadtwerksgründung der Großen Koalition Ende Oktober quasi für überflüssig. «Wer braucht schon zwei Stadtwerke?»

Doch selbst in der SPD sehen das an diesem Sonnabend nicht alle so. Am späten Nachmittag diskutierte die über 200 Delegierten der Parteiversammlung kontrovers einen Antrag der Jusos, die ein «JA zum Energietisch, denn es geht um mehr als nur um’s Kleingedruckte!» einforderten. Die Antragskommission gab dagegen eine Empfehlung für einen Ersetzungsantrag ab, in dem es über Verlautbarungen für ein neues Stadtwerk hinaus zunächst abschließend hieß: «Dafür bedarf es keines Volksentscheides mehr.» Dieser Satz wurde jedoch nach einem Änderungsantrag gestrichen. Der Rest des Antrages der Antragskommission wurde bei einigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen angenommen.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nahm nicht an dem Parteitag teil. Er weilte bei der Vergabe der Leichtathletik-Europameisterschaft 2018 in Zürich, die nach Berlin vergeben wurde.

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