Bonsai oder Pflaume?

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt Nachrichten, die hätten vor einiger Zeit noch Kopfschütteln hervorgerufen. Etwa, dass die Onlineplattform Netflix ihren TV-Konkurrenten HBO im Vorjahr um 800 000 auf nunmehr 29,93 Millionen US-Abonnenten überholt hat. Doch in Zeiten, da wichtige mit überflüssigen Blättern ihr Personal durchtauschen wie »Bild«-Schlagzeilen die Kampagnenopfer, überrascht auch diese Wachablösung kaum noch.

Wobei die USA nicht Deutschland sind, wo das Free-TV programmatisch weiter Maßstäbe setzt. Der Sender RTL zum Beispiel, der sich kürzlich drei eigene Serien geleistet hat. Nun haben HBO-Formate à la »Die Sopranos« mit dem, was der deutsche Kommerzkanal Unterhaltung nennt, bis auf die fortlaufende Handlung weniger gemeinsam als ein Bonsai mit dem Dschungel. Doch »Doc meets Dorf«, »Christine« und »Sekretärinnen« waren immerhin handgefertigt. Dass die zwei letztgenannten nun mangels Quote eingestellt werden, wirft dennoch bloß die Frage auf, warum erstgenannte weiterläuft, wo das doch der gleiche abgekupferte Mist in Reihe ist.

Der gleichwohl weniger stinkt wie der auf RTL2, wo man sich heute Nachmittag erneut aufs intellektuelle Niveau einer Trockenpflaume begibt: Empathie vortäuschend macht die Doku-Soap »Hilf mir! Jung, pleite, verzweifelt ...« zum Auftakt ein dusseliges Model und eine Fitnessstudiobesitzerin verächtlich. Auch sonst hält das Medium diese Woche wenig bereit, was substanziell neu ist. Die Agentenstory im US-Zehnteiler »Missing« etwa ist so innovationsfrei, dass Vox den Serienflop heute nach Mitternacht sendet. Morgen zeigt Matthias Schweighöfers Kinokoproduktion »What a Man« auf Sat1, wie man von 175 Geschlechterklischees 173 in einer Komödie verwurstet. Während sich Veronica Ferres tags drauf im Ersten als - hoppla! - Alltagsheldin mit den Fußballern der Champions League im Zweiten misst und Camilla Läckberg heute auf ZDF neo belegt, dass auch schwedische Krimis langweilen können.

Besser macht es da die sinistre Serie »Top of the Lake« auf Arte, wo ab Donnerstag eine Polizistin ein Kind sucht. Thema banal, Umsetzung genial - das schafft manchmal auch die österreichische Polizeiserie »Cop Stories«, ab Freitag um 21 Uhr im BR. Thema genial, Umsetzung begnadet heißt es dagegen abermals beim Kulturkanal, wo die Dokumentation »Kalter Krieg der Konzerte« am Samstag (21.55 Uhr) Live-Auftritte hinterm eisernen Vorhang historisch einordnet, bevor die Reportage »Vivan Las Antipodas« Leute porträtiert, die jeweils auf der gegenüberliegenden Seite der Erde leben.

Ein Ort übrigens, wo nicht wenige Markus Lanz hinwünschen, der sich in Halle (Saale) aufs Sofa setzt. Mal sehen, ob er da den zur Pornoqueen umprogrammierten Kinderstar Miley Cyrus besser als Vorgänger Gottschalk daran hindert, ihr PR-Gefasel vom »I love you all« abzusondern. Da darf man sich doch umso mehr auf den Tipp der Woche freuen: Peter Weirs mystisches Drama »Picknick am Valentinstag« (Mittwoch, 22.20 Uhr, Servus TV) von 1975.

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