Flaggenstaat will »Arctic Sunrise« freibekommen

UN-Seegerichtshof verhandelt über Klage der Niederlande gegen Russland

  • Tobias Müller, Amsterdam
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Festnahme von 30 Greenpeace-Aktivisten durch russische Sicherheitskräfte hat nun auf internationaler Ebene ein juristisches Nachspiel. Seit Mitte September sitzen 30 Greenpeace-Aktivisten in Russland in Haft. Sie hatten auf einer Ölbohrinsel gegen die zunehmende Rohstoffförderung in der Arktis protestiert. Vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg wird ab heute über das Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte auf hoher See verhandelt. Stellte dieses einen Verstoß gegen international geltende UN-Abkommen dar?

Ein heikler Fall steht heute vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg zur Verhandlung an: Die niederländische Regierung fordert Russland auf, 30 Greenpeace-Aktivisten vorläufig aus der Haft zu entlassen, die seit sechs Wochen festgehalten werden, und deren gekapertes Schiff freizugeben. Russland hat angekündigt, die Einschaltung des UN-Gerichts nicht zu akzeptieren und die Verhandlung zu boykottieren.

Zwei Aktivisten waren Mitte September aus Protest gegen Ölbohrungen im Nordpolgebiet auf eine Gazprom-Bohrinsel geklettert. Die russische Küstenwache enterte am folgenden Tag das Greenpeace-Schiff »Arctic Sunrise« in internationalen Gewässern und nahm die 30-köpfige Besatzung fest. Die »Arctic Sunrise« fährt unter niederländischer Flagge, die Besatzung kommt aus 18 Ländern, darunter vier Russen. Der niederländische Außenminister Frans Timmermans begründet die Klage damit, dass ein enternder Staat in freien Gewässern erst die Zustimmung des Flaggenstaates einholen muss, bevor er an Bord des betreffenden Schiffs gehen darf. Dies habe Russland nicht getan.

Den Aktivisten, die erst nach Murmansk gebracht wurden und nach Sankt Petersburg verlegt werden sollen, drohen lange Haftstrafen: Zwar wurde der Vorwurf der »Piraterie« nach internationaler Kritik mittlerweile auf »Rowdytum« reduziert, aber auch hierauf stehen in Russland bis zu sieben Jahre Haft. Albert Kuiken, ein früherer Greenpeace-Kapitän, wies die Vorwürfe in einem Artikel in der Tageszeitung »Volkskrant« am Dienstag deutlich zurück. Die Aktivisten hätten sich lediglich strafbar gemacht, indem sie die Sicherheitszone der Gazprom-Plattform verletzten.

Anfang Oktober erwirkte Den Haag zunächst ein Schlichtungsverfahren. Dieses räumte der russischen Seite zwei Wochen ein, der Forderung zu entsprechen, die Aktivisten bis zur Urteilsverkündung auf freien Fuß zu setzen. Nach Verstreichen dieser Frist folgte die Klage beim Internationalen Seegerichtshof. Dessen 21 Richter werden die Verhandlung leiten. Erwartet wird eine Verfahrensdauer von rund einem Monat. Da dem Gremium kein Niederländer angehört, hatte das Land nach den Regeln des Gerichtshofs ein Vorschlagsrecht auf einen zusätzlichen Richter. Die Wahl fiel auf den Briten David Anderson, der am Montag vereidigt wurde.

Die Sprecherin der Greenpeace- Aktivisten, die Niederländerin Faiza Oulahsen, bat zuletzt in einem Brief König Willem Alexander um Hilfe. Darin klagte sie über ihre Haftbedingungen: »Leckende Wasserleitungen, das Fenster schließt nicht, unzureichende sanitäre Einrichtungen«. Zudem kämen nachts Ratten in die schmutzige Zelle.

Willem Alexander wird Ende der Woche in Moskau erwartet. Sein Besuch findet im Rahmen des »Niederlande-Russland-Jahres« statt, das die diplomatischen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern vertiefen soll. Dabei wird er auch Präsident Wladimir Putin treffen. Festliche Stimmung dürfte in Moskau nicht aufkommen, zumal die Beziehungen zwischen beiden Staaten seit Monaten angespannt sind. Zu Jahresbeginn protestierte Außenminister Timmermans beim russischen Parlament gegen die Anti-Homosexuellen-Gesetzgebung. Als Putin im Frühjahr nach Amsterdam kam, erwartete ihn eine Großdemonstration gegen die Diskriminierung Homosexueller. Kurz nach der Beschlagnahmung der »Arctic Sunrise« nahmen Polizisten in Den Haag einen hochrangigen russischen Diplomaten fest, weil er betrunken seine Kinder misshandelt habe. Er sagte dagegen später aus, die Polizisten seien nachts in sein Haus eingefallen und hätten ihn vor den Augen seiner Kinder geschlagen. Präsident Putin forderte Den Haag wegen Verstoßes gegen die diplomatische Immunität zu einer Entschuldigung auf, die Timmermans auch umgehend lieferte.

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