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der Kulturen

Rassismus behindert wirkliche Demokratisierung Von Barbara Fräser, Lima

  • Lesedauer: 3 Min.

Ein elegantes Einkaufszentrum ragt auf der Steilküste über der peruanischen Hauptstadt Lima empor. Samstagnachmittags ist es vollkommen überfüllt. Ein Wächter lässt einige Besucher passieren. Andere, mit dunklerer Hautfarbe und abgetragener Kleidung, weist er ab. Der Wächter selbst ist indigener Abstammung.

Der peruanische Soziologe Jose Carlos Luciano, Vorsitzender der Arbeitsgruppe zur Koordinierung von Menschenrechten und gegen Rassismus, meint, dass es zwei Arten von Rassismus in seinem Land gibt: den^von niedriger Intensität gegen Menschen mit afrikanischen Vorfahren und den Rassismus mit hoher Intensität gegen Indigenas. In der Mehrzahl lateinamerikanischer Städte leben die afrikanischen Nißliköfnrnen mit Indigenas und Mestizen -;%o‹%erde1rräie Menschen genannt, die die indigene Lebensweise abgelegt haben - Seite an Seite. Aber unter der Oberfläche brodeln Intoleranz und Verständnislosigkeit, ein Vermächtnis der Sklaverei.

Von den 9,5 Millionen Afrikanern, die man in Lateinamerika versklavte, wurden mehr als ein Drittel nach Brasilien gebracht. Ihre Religion, ihre Tänze und ihre Musik werden als wichtige Bestandteile des nationalen Kulturgutes vermarktet. Doch die Lebensqualität der Afrobrasilianer bewegt sich auf dem gleichen Niveau wie das der ärmsten afrikanischen Nationen. Obwohl ein großer Prozentsatz der Brasilianer - Schätzungen zufolge zwischen 42 und 60 Prozent - afrikanischer Abstammung sind, verleugnen viele dieses Erbe.

Die Lebenserwartung für Schwarze und Mulatten liegt bei 59 Jahren im Gegensatz zu 65 Jahren bei anderen Brasilianern. Ein Drittel aller schwarzen Arbeiter ver dient nicht einmal den Mindestlohn. Schwarze Frauen verdienen im Schnitt nur die Hälfte dessen, was weiße Frauen erhalten. Knapp 29 Prozent der afrobrasilianischen Frauen können zudem weder lesen noch schreiben.

Luciano meint, dass der ausbleibende Fortschritt in der Bekämpfung des Rassismus damit zusammenhängt, dass Schwarze kaum in der offiziellen Politik vertreten sind, auch wenn mit der Besetzung von öffentlichen Posten noch keine Veränderung garantiert sei. Die Mehrheit der englischsprachigen Karibikstaaten etwa wird von Schwarzen regiert, aber sie haben nicht sonderlich zur Verbesserung der sozioökonomischen Situation ihrer Bevölkerungen beigetragen.

Ein Beispiel hierfür ist der Inselstaat Trinidad und Tobago, der seit der Unabhängigkeit 1962 bis 1995 von Schwarzen regiert wurde. Trotzdem herrscht weiter große Armut vor. Während sich die schwarzen Regierungen auf ihren Machterhalt konzentrierten, widmete sich die weiße Bevölkerung dem Handel, einem Sektor, den sie noch heute beherrschten. Auch in Barbados, einem Land mit relativem Wohlstand und einem Bruttoinlandsprodukt von über sechs Milliarden US-Dollar, liegt der Reichtum in den Händen einer weißen Minderheit. Schwarze sind im Privatsektor und der einflussreichen Unternehmerschaft nicht vertreten. Der Rassismus in Lateinamerika kann, so Luciano, daran gemessen werden, ob alle Menschen Zugang zu Arbeit, Bildung, Gesundheits- und Wohnungswesen haben. Nach dem peruanischen Recht »sind wir alle gleich gestellt«, sagt der Soziologe. »Aber wenn man die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen betrachtet, stellt man fest, dass fast nichts unternommen wurde, um die diskriminierenden Faktoren, die bestimmte ethnische Gruppen benachteiligen, zu verändern.« Die Menschen sprächen zwar voller Stolz über ihre europäischen Großeltern, aber sie ver schweigen ihre indigenen Vorfahren, fügt er hinzu. Dieser Umgang mit der persönlichen Geschichte spiegelt sich in der nationalen Geschichte wider, in der die indigenen und schwarzen Gesellschaften tendenziell ignoriert worden. Luciano resümiert. »Wenn diese Ungleichheit weiter besteht, ist eine wirkliche Demokratisierung nicht möglich.«

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