Magier erklärt Kunststücke

»Nichtraucherkonzert«: John Cale im Berliner Quasimodo

  • Carloff Wiltner
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Auf dem Handzettel über dem Namen des Künstlers stand »Nichtraucherkonzert«. Als würde es sich um eine Benefizveranstaltung für den Einsatz gegen eine ansteckende Krankheit handeln. Das schmeckte nicht Jedem: »Früher hat er vor einem Konzert eine halbe Apotheke leer gefressen, und jetzt darf der Gast noch nicht einmal mehr rauchen!« In der Art waren die Kommentare, die man vor der Tür aufschnappen konnte. Ja, ja, die guten alten Sechziger, als John Cale (Foto: Semmel) noch mit Velvet Underground sein Unwesen trieb. Was ist davon noch übrig geblieben? Musikalisch ist alles noch vorhanden. Das stellte John Cale vergangenen Freitag bei seinem Konzert im Berliner Quasimodo klar. Nur nicht in der Komprimiertheit von damals. In dem Querschnitt durch sein Werk konnte man vor allem eine herausragende Qualität an John Cale bewundern: Er kann sezieren. Das Konzert begann mit »Venus in Furs« - einem Klassiker aus dem VU-Fundus. Was darauf folgte, war ein gut gemachter Rock-Zirkus. Eingängige Gitarren-Riffs in einem erdigen, verzerrten und satten Sound. Das Ganze wurde mit einer Selbstverständlichkeit vorgetragen, als hätte Cale den Rock just in diesem Moment erfunden. Einen VU-Ohrwurm später fand man sich in einer bunten Welt aus gut geschriebenen, leicht daherkommenden Mellow-Pop-Perlen (War die Leichtigkeit der Kompositionen nicht eine der hervorstechenden Eigenschaften von Velvet Underground?), anderen Stücken, die minutiös zusammengepfriemelten Soundkollagen glichen (War der nervige Sound nicht eine der hervorstechenden Eigenschaften von Velvet Underground?), langgezogenen Instrumentalpassagen, bei denen kein Instrument wirklich zum Solo kommt (Dutzende VU-Stücke spielen mit eben diesem Effekt!), und lasziven, unbeirrt durchgespielten, funkigen Gitarrenthemen (Das ist für Cale allerdings neu!). Cale unterstreicht auf der Bühne für alle, die es noch nicht wissen, wie wichtig er für die Pop- und Rockgeschichte ist. Etwa, wenn er mit nur einem Stück die musikalische Quintessenz der Band T-Rex herausarbeitet. Oder wenn er mit einem anderen Stück das Phänomen der House-Music zusammenfasst. In diesem Mann vereinigen sich mindestens fünf Stilikonen. Drei Lehren konnte man aus diesem Abend ziehen. Erstens: Die Musik von Velvet Underground war extrem komplex. Zweitens: John Cale konnte offensichtlich in den Jahrzehnten danach aus den Bausteinen dieser Musik die verschiedensten Musikstile beeinflussen. Und drittens: Mit diesem Tausendsassa auf der Bühne kann man für einen Abend du...

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