nd-aktuell.de / 08.12.2000 / Politik / Seite 13

Zwischen den Stühlen

Joachim Hoffmann

Eine fühlbare Lücke in der deutschen Geschichtsschreibung der Gewerk Schaftsbewegung schließt ver dienstvollerweise nun endlich Ulla Plener mit diesen beiden Bänden, Biografie und Dokumentation, über Theodor Leipart. Obwohl bis heute »von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, sein Charakterbild in der Geschichte schwankt«, ist es doch Ulla Plener gelungen, Leben und Wirken dieses Gewerkschaftsführers und Sozialdemokraten plastisch nachzuzeichnen und ihn auch in all seiner Widersprüchlichkeit treffend zu porträtieren - ohne Vorurteile, Klischees, Tabus. Sie versuchte, Leipart so weit wie möglich gerecht zu werden und übernahm deshalb auch nicht unkritisch Aussagen von Zeitgenossen über diesen. Wurden doch schon zu dessen Lebzeiten Motive und Ergebnisse seines Wirkens im Deutschen Holzarbeiter Verband (seit 1898) und seit 1921 an der Spitze der sozialdemokratisch dominierten freien Gewerkschaften (ADGB) sehr unterschiedlich bewertet. Für die kommunistische Seite galt er schlechthin als »Arbeiterver räter« und »Gewerkschaftsbonze«. Und für manchen der »Seinen« war er allenfalls-ein »korrekter Beamter«, der zuletzt als »hilfloser Taktierer bis zur Selbstaufgabe« gegenüber der Hitler-Diktatur Widerstand gescheut habe. Letztere schalten Leipart dann auch wegen seiner Bejahung der Forderung nach Arbeiter und Gewerkschaftseinheit nach 1945, die mit der Gründung der SED und des FDGB realisiert werden sollte. Ulla Plener zog ihre Grundaussagen aus sorgfältiger Recherche. An erster Stelle würdigt sie Leiparts Kampf um Emanzipation, für den kulturellen Aufstieg der Arbeiterklasse von einer geknechteten, zusammenhanglosen Masse zu einer selbstbewussten, organisierten Kraft. Er wollte den materiellen, geistigen und politischen Aufstieg der Arbeiterklasse nicht erst in einem fernen Zukunftsstaat erfüllt sehen, sondern schon auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft. Hieraus rührt sein starkes Engagement für die Er haltung und den Ausbau sozialpolitischer Errungenschaften, die mit der November revolution 1918/19 erstritten wurden, und die zum Erbe jedes gewerkschaftlichen Wirkens gehören. Tarifautonomie, Ausgestaltung und Sicherung des Tarifvertragswesens, Verkürzung der Arbeitszeit, Erhaltung und Verteidigung gewerk schaftlicher Grundrechte, Arbeitsrechtsgestaltung, Arbeitsvermittlung und Ar beitslosenversicherung, gesetzlicher Ar beitsschutz waren für ihn unabdingbare Elemente eines »Sozialstaates«.

Gewiss blieben all diese Wünsche im Weimarer Staat unerfüllt. Leiparts größte Tragödie bestand jedoch darin, verkannt zu haben, dass sich Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre das politische Kräftever hältnis in der Weimarer Republik zu Ungunsten der Arbeiter rapide veränderte. Seine Vorstellungen, mittels Wirtschaftsdemokratie in der kapitalistischen Wirtschaft den Unternehmern das Recht der Alleinherrschaft zu beschneiden, scheiterte letztlich an den realen Machtstrukturen. Seine Hoffnungen auf Gleichberechtigung in Staat und Wirtschaft, der Gleichberechtigung der Arbeiterklasse als Klasse sowie des Arbeiters als Bürger und Produktionsteilnehmer (vom »Wirtschaftsuntertan zum Wirtschaftsbürger«) blieben auf der Strecke. Daraus zog er eine Lehre, setzte sich 1946 ohne Wenn und Aber für die Enteignung von Kriegsver brechern und Großkapitalisten ein.

Für Leipart verhießen nur Organisation und Agitation Erfolg im gewerkschaftlichen Kampf, nicht aber Demonstrationen und schon gar nicht politischer Massenstreik. Ökonomischer Streik hingegen war in seinen Augen als (allerdings letztes) Mittel im Kampf für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeit und bessere Arbeitsbedingungen unverzichtbar. Wesentlich für seine gewerkschaftliche Sicht und Praxis waren ferner generell parteipolitische Neutralität, Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Gewerkschaften - auch gegenüber der SPD Das hieß für ihn jedoch nicht etwa politische Abstinenz. Wichtigstes politisches Feld der Gewerkschaften war für ihn die soziale Gesetzgebung und entsprechender Einfluss auf das Geschehen im Staat. Und schließlich maß er der internationalen Zusammenarbeit der Gewerkschaften große Bedeutung zu.

Die Aktualität seines historischen Ver mächtnisses auch unter neuartigen Rahmenbedingungen ist evident. Ulla Pleners beeindruckendes Buch bestätigt es nachdrücklich.

Ulla Plener- Theodor Leipart. Persönlichkeit, Handlungsmotive. Wirken, Bilanz - ein Lebensbild mit Dokumenten (1867 1947). Reihe: Biographien europäischer Antifaschisten. Trafo-Verlag, Berlin 2000. Bd. 1 (Biografie) 389 S., br.. 39,80DM, Bd. 2 (Dokumentation), 530 S., br., 52,80DM.