Vorbild für heutige Linksbündnisse?

Isidoro Bustos über den Putsch in Chile 1973 sowie effektiven Widerstand gegen Neoliberalismus

ND: Was ist Ihrer Ansicht nach die Ursache dafür, dass die Linken in Chile 1973 den Militärputsch nicht vereiteln konnten?
Bustos: Unter anderem lag es an Meinungsverschiedenheiten. Zuerst waren die Sozialisten die Radikalen und die Kommunisten die Moderaten. Die Sozialisten hatten aber auch nur schöne revolutionäre Reden parat und keine Konzepte für die politische Konfrontation. Und die Kommunisten waren sich ihrer mangelnden militärischen Fähigkeiten bewusst. Das in preußischer Tradition und zugleich gemäß US-amerikanischer Doktrin der Nationalen Sicherheit ausgebildete chilenische Militär wiederum war vom Geist des Kalten Krieges geprägt, mehrheitlich keineswegs demokratisch und verfassungstreu. Und die Konservativen waren entschlossen, die Regierung zu stürzen, um jeden Preis.

Sie waren als Sozialist Ministerialdirektor im Justizministerium von Allende. Wie haben Sie den 11. September 1973 erlebt?
Ich versuchte, ins Zentrum von Santiago zu gelangen. Doch die Straßen waren schon mit Panzern abgesperrt, an jeder Ecke Militärs. Wir wollten dann in ein Arbeiterviertel fahren. Alles war blockiert. Die Telefonleitungen waren auch schon gekappt. Wir haben eine Sicherheitswohnung aufgesucht, die bewusst in einem bürgerlichen Viertel eingerichtet war. Dort haben wir gesehen, wie die feinen Leute in den Vorgärten mit Champagner angestoßen haben, sich gratulierten, dass Allende tot war.

Nach wie vor wird spekuliert: Fiel er im Kampf, hat er seinem Leben ein Ende gesetzt?
Ich glaube, er hat sich selbst erschossen, als er sah, dass sein Kampf keine Chance mehr hatte. Um den Erniedrigungen durch das Militär zu entgehen. Dieser Selbstmord war kein Verrat an Ideen oder Menschen!

Sie sind dann emigriert?
Ich bin ausgewiesen worden, nach meiner zweiten Haft. Im September 1973 war ich im Nationalstadion von Santiago inhaftiert, mit Tausenden anderen. Da das Militär das damalige Chaos selbst nicht überblickte, kam ich zufällig frei. Wie glücklicherweise auch andere, Mitglieder des Zentralkomitees der Kommunistischen wie auch der Sozialistischen Partei, deren Gesichter eigentlich jeder aus der Presse kannte. Daran sieht man, wie uninformiert das putschende Militär war. Mit meiner Frau beschloss ich: Wir bleiben in Chile. 1974 wurde ich dann von der nun weitaus besser unterrichteten Geheimpolizei verhaftet und habe mehrere Lager der Diktatur durchgemacht, bis man mich dann plötzlich außer Landes wies.

Der deutsche Außenminister hat diese Woche bei seinem Besuch in Chile die dortige Aufarbeitung dieser dunklen Vergangenheit gewürdigt. Stimmen Sie dem zu?
Es ist in den vergangenen Jahren viel getan worden. In der »Villa Grimaldi«, einer berüchtigten Folterstätte der Pinochet-Diktatur, gibt es eine Gedenkstätte. Aber nicht nur das Militär hat Verbrechen begangen, beteiligt waren auch Polizei und Justiz. Auch und gerade sie haben Menschenrechte mit Füßen getreten. Auch diese Institutionen müssen sich zu ihrer Schuld offen und ehrlich bekennen. Mehrere Militärs und auch der Chef der Geheimpolizei der Diktatur sind zwar verurteilt worden, aber das reicht nicht. Die Verbrechen sind so unzählig. Es gibt noch so viele, die nicht zur Rechenschaft gezogen worden sind.

Inwieweit könnte die Unidad Popular Vorbild für heutige linke Regierungen, für Links- oder Mitte-links-Bündnisse in Lateinamerika sein? Wie in Brasilien, Bolivien, Chile, Venezuela ...
Und eventuell Mexiko, Ecuador.

Werden diese das Vermächtnis von Allende erfüllen?
Ich bin Optimist, obwohl ich Jurist bin. Ich bin überzeugt, dass diese Veränderungen jetzt in Lateinamerika Vorzeichen einer neuen Zeit sind. Was hier in Europa nicht passiert, echter Widerstand gegen den Neoliberalismus, das erleben wir jetzt in Ansätzen in Lateinamerika. Ich meine aber nicht, dass die Jugendlichen in Europa nun mit Chavez- oder Morales-Bildern auf die Straße gehen sollten wie früher mit Che- oder Ho-Chi-Minh-Fotos. Die neue Generation muss für sich überlegen: Was können wir machen, damit das neoliberale System nicht unsere Welt und uns auspowert, erschöpft, ruiniert? Welche Alternative können wir entwickeln, die über die Grenze des Kapitalismus hinausgehen könnte? In dieser Richtung wird in Lateinamerika etwas gemacht. Einiges ist auf dem Weg gebracht, um aus der Unterentwicklung auszubrechen und die großen sozialen Ungerechtigkeiten auszugleichen. Und auch hemmungsloser internationaler Ausplünderung einen Riegel vorzuschieben, so mit der mehrheitlichen Ablehnung lateinamerikanischer Staaten, eine Freihandelszone für den ganzen amerikanischen Kontinent, von Alaska bis Feuerland, zu installieren.

Steinmeier warnte - eine Woche vor dem EU-Lateinamerika-Gipfel - Boliviens Präsidenten Morales vor Verstaatlichung der Erdöl- und Erdgasvorkommen; dies würde Investoren verschrecken. VW kündigte den Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen in Brasilien an, weil unter Lulas Regierung der Partei der Arbeit die Löhne der Arbeiter gestiegen sind. Sind gar wieder Putsche zu befürchten?
Dieses drastische Mittel wird man wohl momentan nicht wagen. Erpressung ist aber dreist genug. Und die USA sind in Lateinamerika stets präsent; ihre Einmischung in Kolumbien, der Kampf gegen Drogenhandel, ist nur ein Vorwand. Da sie derzeit jedoch stark im Mittleren und Nahen Osten involviert sind, ist für uns das Schlimmste wohl nicht zu befürchten. Gott sei Dank, sage ich da - als ein Atheist, dem in seiner Muttersprache diese Worte übrigens nie von den Lippen kommen würden.

Gespräch: Karlen Vesper ND: Was ist Ihrer Ansicht nach die Ursache dafür, dass die Linken in Chile 1973 den Militärputsch nicht vereiteln konnten?
Bustos: Unter anderem lag es an Meinungsverschiedenheiten. Zuerst waren die Sozialisten die Radikalen und die Kommunisten die Moderaten. Die Sozialisten hatten aber auch nur schöne revolutionäre Reden parat und keine Konzepte für die politische Konfrontation. Und die Kommunisten waren sich ihrer mangelnden militärischen Fähigkeiten bewusst. Das in preußischer Tradition und zugleich gemäß US-amerikanischer Doktrin der Nationalen Sicherheit ausgebildete chilenische Militär wiederum war vom Geist des Kalten Krieges geprägt, mehrheitlich keineswegs demokratisch und verfassungstreu. Und die Konservativen waren entschlossen, die Regierung zu stürzen, um jeden Preis.

Sie waren als Sozialist Ministerialdirektor im Justizministerium von Allende. Wie haben Sie den 11. September 1973 erlebt?
Ich versuchte, ins Zentrum von Santiago zu gelangen. Doch die Straßen waren schon mit Panzern abgesperrt, an jeder Ecke Militärs. Wir wollten dann in ein Arbeiterviertel fahren. Alles war blockiert. Die Telefonleitungen waren auch schon gekappt. Wir haben eine Sicherheitswohnung aufgesucht, die bewusst in einem bürgerlichen Viertel eingerichtet war. Dort haben wir gesehen, wie die feinen Leute in den Vorgärten mit Champagner angestoßen haben, sich gratulierten, dass Allende tot war.

Nach wie vor wird spekuliert: Fiel er im Kampf, hat er seinem Leben ein Ende gesetzt?
Ich glaube, er hat sich selbst erschossen, als er sah, dass sein Kampf keine Chance mehr hatte. Um den Erniedrigungen durch das Militär zu entgehen. Dieser Selbstmord war kein Verrat an Ideen oder Menschen!

Sie sind dann emigriert?
Ich bin ausgewiesen worden, nach meiner zweiten Haft. Im September 1973 war ich im Nationalstadion von Santiago inhaftiert, mit Tausenden anderen. Da das Militär das damalige Chaos selbst nicht überblickte, kam ich zufällig frei. Wie glücklicherweise auch andere, Mitglieder des Zentralkomitees der Kommunistischen wie auch der Sozialistischen Partei, deren Gesichter eigentlich jeder aus der Presse kannte. Daran sieht man, wie uninformiert das putschende Militär war. Mit meiner Frau beschloss ich: Wir bleiben in Chile. 1974 wurde ich dann von der nun weitaus besser unterrichteten Geheimpolizei verhaftet und habe mehrere Lager der Diktatur durchgemacht, bis man mich dann plötzlich außer Landes wies.

Der deutsche Außenminister hat diese Woche bei seinem Besuch in Chile die dortige Aufarbeitung dieser dunklen Vergangenheit gewürdigt. Stimmen Sie dem zu?
Es ist in den vergangenen Jahren viel getan worden. In der »Villa Grimaldi«, einer berüchtigten Folterstätte der Pinochet-Diktatur, gibt es eine Gedenkstätte. Aber nicht nur das Militär hat Verbrechen begangen, beteiligt waren auch Polizei und Justiz. Auch und gerade sie haben Menschenrechte mit Füßen getreten. Auch diese Institutionen müssen sich zu ihrer Schuld offen und ehrlich bekennen. Mehrere Militärs und auch der Chef der Geheimpolizei der Diktatur sind zwar verurteilt worden, aber das reicht nicht. Die Verbrechen sind so unzählig. Es gibt noch so viele, die nicht zur Rechenschaft gezogen worden sind.

Inwieweit könnte die Unidad Popular Vorbild für heutige linke Regierungen, für Links- oder Mitte-links-Bündnisse in Lateinamerika sein? Wie in Brasilien, Bolivien, Chile, Venezuela ...
Und eventuell Mexiko, Ecuador.

Werden diese das Vermächtnis von Allende erfüllen?
Ich bin Optimist, obwohl ich Jurist bin. Ich bin überzeugt, dass diese Veränderungen jetzt in Lateinamerika Vorzeichen einer neuen Zeit sind. Was hier in Europa nicht passiert, echter Widerstand gegen den Neoliberalismus, das erleben wir jetzt in Ansätzen in Lateinamerika. Ich meine aber nicht, dass die Jugendlichen in Europa nun mit Chavez- oder Morales-Bildern auf die Straße gehen sollten wie früher mit Che- oder Ho-Chi-Minh-Fotos. Die neue Generation muss für sich überlegen: Was können wir machen, damit das neoliberale System nicht unsere Welt und uns auspowert, erschöpft, ruiniert? Welche Alternative können wir entwickeln, die über die Grenze des Kapitalismus hinausgehen könnte? In dieser Richtung wird in Lateinamerika etwas gemacht. Einiges ist auf dem Weg gebracht, um aus der Unterentwicklung auszubrechen und die großen sozialen Ungerechtigkeiten auszugleichen. Und auch hemmungsloser internationaler Ausplünderung einen Riegel vorzuschieben, so mit der mehrheitlichen Ablehnung lateinamerikanischer Staaten, eine Freihandelszone für den ganzen amerikanischen Kontinent, von Alaska bis Feuerland, zu installieren.

Steinmeier warnte - eine Woche vor dem EU-Lateinamerika-Gipfel - Boliviens Präsidenten Morales vor Verstaatlichung der Erdöl- und Erdgasvorkommen; dies würde Investoren verschrecken. VW kündigte den Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen in Brasilien an, weil unter Lulas Regierung der Partei der Arbeit die Löhne der Arbeiter gestiegen sind. Sind gar wieder Putsche zu befürchten?
Dieses drastische Mittel wird man wohl momentan nicht wagen. Erpressung ist aber dreist genug. Und die USA sind in Lateinamerika stets präsent; ihre Einmischung in Kolumbien, der Kampf gegen Drogenhandel, ist nur ein Vorwand. Da sie derzeit jedoch stark im Mittleren und Nahen Osten involviert sind, ist für uns das Schlimmste wohl nicht zu befürchten. Gott sei Dank, sage ich da - als ein Atheist, dem in seiner Muttersprache diese Worte übrigens nie von den Lippen kommen würden.

Gespräch: Karlen Vesper

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