Prävention oder Einnahmequelle

Biologisches Alter endlich präzise messbar

  • Christa Schaffmann
  • Lesedauer: 4 Min.
»Testen Sie Ihr biologisches Alter«, wirbt die AOK auf ihrer Webseite. Auch andere Gesundheitsportale bieten das an. Die Validität ist allerdings zweifelhaft. Präzise Angaben liefert indes eine neue Studie.

Weit verbreitet ist der Wunsch, jünger auszusehen als man eigentlich ist. Noch viel erstrebenswerter ist ein biologisches Alter, das unter dem kalendarischen liegt, verspricht es doch nicht nur ein längeres Leben, sondern auch ein gesünderes Altern. »Testen Sie Ihr biologisches Alter«, so wirbt nicht nur die AOK, auch andere Gesundheitsportale bieten kostenlose Tests an. Deren Validität ist zweifelhaft, wie ein Selbstversuch mit drei verschiedenen Tests belegt, bei denen das biologische Alter der Autorin um drei verschiedene Werte vom kalendarischen abwich.

Sehr präzise Angaben verspricht dagegen eine in diesem Jahr abgeschlossene EU-weite Studie. Forschergruppen aus acht Ländern haben anhand der Daten von etwa 3700 Probanden die aussagekräftigsten physiologischen Faktoren für die Alterung ermittelt. Zunächst hatte man 350 dieser Faktoren im Blick, darunter - nicht überraschend - Blutdruck, Cholesterin und Gewicht. Als die wichtigsten wurden 30 Biomarker identifiziert, deren Gewichtung bei Männern und Frauen unterschiedlich ausfällt. »Entsprechend ihrer Bedeutung wurden sie in eine Rangliste gebracht und zu einer allgemeingültigen Formel kombiniert«, so Prof. Dr. Alexander Bürkle von der Universität Konstanz, der das Projekt koordiniert hat. Was genau wie oft multipliziert und dann addiert wird, ist noch geheim, aber so viel ist sicher: Die am Ende ausgewählte Gruppe von Biomarkern kann das biologische Alter sehr viel genauer erfassen als jeder Marker für sich genommen und definitiv genauer als alle bisherigen Tests im Internet, die nach Alkoholkonsum, sportlicher Aktivität und dem Alter verstorbener Angehöriger fragen. Benötigt werden lediglich Blut und Urin des Probanden.

Für die Gesundheit der Bevölkerung können die Resultate der Studie in zweierlei Hinsicht von Bedeutung sein. Zum einen verbessern sie die Möglichkeiten der Frühdiagnostik. »Die Hoffnung für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft besteht darin, dass anhand des Analyse-Ergebnisses mögliche Risiken für spätere Erkrankungen frühzeitig erkannt und entsprechende Präventionsmaßnahmen ergriffen werden. ‚Erfolgreich Altern’ bedeutet in diesem Sinn vor allem, gesund zu altern und typische Alterskrankheiten wie Arteriosklerose, Alzheimersowie andere neurodegenerative Krankheiten zu verhindern oder abzumildern«, so Alexander Bürkle. Für die Präventivmedizin beginne damit eine neue Entwicklungsetappe.

Zum anderen bieten die Erkenntnisse Menschen die Chance, sich auf ein gesundes Altern vorzubereiten und zur Unterstützung der eigenen Motivation ihr biologisches Alter regelmäßig kontrollieren zu lassen, betont Dr. Andrea Nestl vom Technologie-Lizenz-Büro der baden-württembergischen Hochschulen, die für die schutzrechtliche Absicherung der Projektergebnisse und deren wirtschaftliche Verwertung zuständig ist. Denn auch um diese geht es schließlich in einer Gesellschaft, in der Gesundheit und Krankheit aus marktwirtschaftlicher Perspektive gesehen werden und Patienten Kunden sind, denen man etwas verkaufen kann. Die Projektergebnisse wurden deshalb frühzeitig zum Patent angemeldet. Ob der Test jemals als Kassenleistung zur Verfügung stehen und damit der Prävention auf breiter Basis dienen kann, ist unklar. Geld lässt sich auch so damit verdienen, werden doch genug Zahlungswillige und -fähige davon Gebrauch machen und mit dem Wissen um ihr tatsächliches biologisches Alter dessen Verlauf in die eigenen Hände nehmen. Das ist weitgehend möglich, geht es doch bei den Biomarkern nicht um genetisch bedingte und damit bislang unveränderbare, sondern um von jedem Menschen beeinflussbare Faktoren. Und sollten es getestete Menschen nicht schaffen, ihre Biomarker positiv zu beeinflussen, so dürften allein die Daten dennoch Begehrlichkeiten wecken. Wer mit 45 biologisch betrachtet bereits über 50 ist, dürfte bei Lebensversicherern und Arbeitgebern weniger beliebt sein. Aber die Daten werden natürlich geheim sein, sicher auf Computern gespeichert oder elektronisch übermittelt, wie so viele andere, über deren Verbleib in diesen Monaten Erstaunliches bekannt wird.

Für die Praxistauglichkeit bedarf es noch vereinfachter und kostengünstigerer Analysemethoden. Nur so kann dieses Instrument so bald wie möglich vielen Patienten zur Verfügung gestellt werden. Daran wird gearbeitet, genau wie an Programmen, die man den getesteten Patienten ggf. an die Hand gibt, um ihre gesundheitlichen Risiken zu senken. Von der Möglichkeit, schon nach drei Monaten durch einen erneuten Test Beweise für den Erfolg einer Ernährungsumstellung oder einer gesünderen Lebensweise zu bekommen, versprechen sich die Forscher eine starke Motivation - und weitere Einnahmen.

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