Klanggesten eines Großen

Hommage an Leonard Bernstein im Berliner Konzerthaus

  • Liesel Markowski
  • Lesedauer: 3 Min.

In Erinnerung an seine sieben Gastkonzerte am Berliner Konzerthaus wurde vom 7. bis zum 16. November ein Festival für Leonard Bernstein veranstaltet: Das erste Mal kam Bernstein zur Neueröffnung des heutigen Konzerthauses im Oktober 1984. Dann 1987, 1988. 1989 am ersten Weihnachtstag mit Beethovens »Neunter«. Andere, für 1990 geplante Gastspiele, konnten nicht stattfinden, weil Bernstein am 14. Oktober desselben Jahres starb.

Leonard Bernstein - Dirigent, Pianist, Komponist, Lehrer. Politischer Aktivist. Eine faszinierende Persönlichkeit mit bezauberndem Charisma. Wer ihn in Berlin erlebt hat, wird ihn nicht vergessen, weder seine künstlerische Intensität noch seine wunderbare Freundlichkeit. Das umfangreiche Festival-Programm mit Dokumentation, Gesprächen, vor allem aber mit Darbietungen von Werken Bernsteins, gab reiche Gelegenheit einer erneuten Annäherung. Bernstein selbst mag seinerzeit die ehrliche Zuneigung der Öffentlichkeit gespürt haben. Davon zeugt dieser bewegende Zuspruch: »Ich liebe dieses Haus, ich liebe diese Leute hier, und ich liebe dieses Publikum. Und ich komme wieder.«

Nicht unbedingt direkt wirksam (wie sein weltbekanntes Musical »West Side Story«) geben sich andere, größere sinfonische Kompositionen. Da stellen sich den Zuhörern Anforderungen, die Konzentration und Offenheit für Unbekanntes verlangen. So an einem Abend am Gendarmenmarkt zu erleben: Bernsteins Sinfonien Nr .2 »The Age of Anxiety« (Das Zeitalter der Angst) und Nr. 3 »Kaddish« mit dem Konzerthausorchester Berlin, Solisten und Chören unter Leitung des amerikanischen Dirigenten Wayne Marshall, waren eine harte Hörprobe fürs Publikum: große Klanggeste des mit allen möglichen instrumentalen Farben besetzten Orchesters. Lautstärke zwischen berstendem Fortissimo und raffinierten Jazzpassagen. Dass zudem Gestaltungsweisen von zwölftöniger Atonalität über traditionell Lyrisches zu voluminöser »Spätromantik« reichen, verlangt ein wechselhaftes Hörvermögen.

Und: Beide Werke haben einen programmatischen Hintergrund. Sie gelten als religiöse Musiken, sind es aber keineswegs in engem liturgischem Sinn. Bernstein, Sohn dem chassidischen Judentum verbundener Eltern, ging es um den Menschen, seinen Glauben an das Leben. » The Age of Anxiety« legt eine historisch-psychologische Dichtung von Wystan Hugh Auden zu Grunde, deren Protagonisten Glauben und Orientierung verloren haben. Bernstein hat diese Vorlage nicht vertont, sondern in seelischen Lebensbildern reflektiert. In sechsteiliger Dramaturgie stehen diese Reflexionen in ihren unterschiedlichen Klangwelten nebeneinander: ein Prolog, ein Epilog, sieben Lebensalter und sieben Stationen weisen neben Klagegesang und Maskenspiel gleichsam den Weg. Die orchestrale Vielfalt ist gegeben (besonders der Bläser), wobei der Streicherpart zeitweise auch länger pausiert. Ganz dominant dagegen wirkt ein Soloklavier mit starkem konzertantem Habitus, das der junge Pianist Benjamin Nuss mit brillanter Virtuosität und Klangschönheit meisterte.

Die 2. Sinfonie »Kaddish« gilt dem jüdischen Gebet zum Totengedenken. Bernstein fühlte sich dem grausigen Geschehen der Schoah verbunden. Die dreiteilige Dramaturgie seiner Komposition - »Invocation« (Anrufung) Kaddish 1, »Din-Torah« (die Prüfung) Kaddish 2 und »Scherzo« Kaddish 3 - nutzt das Original in aramäischer Sprache, vom Ernst Senff Chor Berlin, den Kapellknaben des Staats- und Domchores Berlin und der Sopranistin Kelly Nassieff eindringlich geboten. Auch hier gibt es unterschiedliche stilistische Prägungen. Der Komponist setzt gegen die Hoffnung den Schrecken und nimmt sein Kaddisch als Gesang des Lebens unter Drohung des Todes. Da die Worte des Gebetes nicht jedem verständlich sind, wurde ein zusätzlichen Text geschaffen. Bernstein bat seinen polnischen Freund Samuel Pisar, Überlebender des Holocaust, darum. Aber erst 10 Jahre nach Bernstein Tod lag dieser Text vor. Als wesentliches Problem erschien bei der jetzigen Aufführung das unausgeglichene Verhältnis von Musik und Worten: zu wenig Musik, zu viel Text. Autor Samuel Pisar, der selbst die Rezitation übernommen hatte, dehnte die Geschichte um den Kaddish in unendliche Längen. Ein Verständnisproblem fürs Publikum: Zum einen waren die gesungenen Worte nicht zugänglich. Zum anderen trug der Rezitator seine Ergänzung in englischer Sprache vor, deren schriftliche deutsche Übersetzung nur schwierig zu vergleichen und zu entziffern war. Zudem hatte Pisar seine Wortergänzung gewissermaßen als zum Teil nervende Selbstdarstellung verfasst - kaum günstig für Bernsteins Werk.

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