Kinderrechte in der Paragrafenmühle

Die UNO will Minderjährigen eine Beschwerdemöglichkeit in Genf einräumen

»Dein Weg zum Recht« lautet der Slogan für eine Kampagne, die ein Beschwerderecht für Kindern bei der UNO fordert. Zum Tag der Kinderrechte gab es auf einer Konferenz Kritik an dem Vorhaben.

Kinderrechte müssten zur Norm werden - sie müssten wie ein Schirm über die Gesellschaft aufgespannt werden verlangte Christine Bergmann (SPD), ehemalige Bundesministerin für Familie im Kabinett von Gerhard Schröder. Fast zwei Jahre war sie auch Bundesbeauftragte für die Aufklärung von sexuellem Kindesmissbrauch. Während dieser Aufgabe hat sie wieder und wieder erfahren, wie Kinderrechte missachtet wurden und wie dies körperliche und seelische Schäden anrichtet. »Es tut weh, das zu sehen«, sagte Bergmann auf einer Konferenz zum Tag der Kinderrechte am 20. November in Berlin.

Bergmann betonte, wie wichtig es sei, einen Rahmen zu setzen, um Diskriminierung zu ächten. Teil dieses Rahmens sei die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die 1992 verabschiedet von fast allen Staaten auf der Welt mitgetragen wird. Auch Deutschland stimmte der Konvention zu, allerdings nur mit einem Vorbehalt: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gelten weiterhin bereits ab 16 Jahren als »verfahrensfähig« und werden wie Erwachsene behandelt. Zwar wurde dieser Vorbehalt 2010 zurückgenommen, aber nach wie vor können sie in Abschiebehaft landen.

Kritiker an diesem restriktiven Verhalten der Bundesrepublik erhalten zurzeit Rückenwind, weil die UN-Kinderrechtskonvention schon bald um ein individuelles Beschwerderecht erweitert wird. Kindern soll demnach bei der UN in Genf die Möglichkeit eingeräumt werden, sich alleine oder in Gruppen zu beschweren, wenn ihnen Unrecht angetan wird. Frank Mischo von der Kindernothilfe erhofft sich vor allem bei 16- und 17-jährigen unbegleiteten Flüchtlingen Chancen für eine erfolgreiche Beschwerde.

Diese Zusatzvereinbarung zur Kinderrechtskonvention hat Deutschland bereits im Februar dieses Jahres unterzeichnet. Noch ist das Beschwerderecht aber nicht gültig, weil bislang erst acht Staaten dieses Protokoll mittragen. Es müssen zehn Länder sein, damit das Abkommen in Kraft treten kann. Die Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung versuchte auszuloten, welche Möglichkeiten ein solches Beschwerdeverfahren bietet.

Zweifel an der Wirksamkeit dieses Zusatzprotokolls gibt es durchaus. Nicht zuletzt weil der Weg zum Recht lang ist, unter Umständen länger als eine Kindheit andauert, wie der Völkerrechtler Mehrdad Payandeh von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf erklärte. Eine Beschwerde bei den Vereinten Nationen sei nämlich nur zulässig, wenn alle nationalen gerichtlichen Instanzen ausgeschöpft sind. Im Regelfall werde sich die UNO erst mit einer Beschwerde befassen, wenn das Bundesverfassungsgericht darüber entschieden habe. Wird dann in Genf einer Beschwerde stattgegeben, erfolgt lediglich eine Empfehlung an den Staat, die rechtlich aber nicht bindend ist. Einen Mehrwert erhofft sich Payandeh, der ein Gutachten zu dem Beschwerdeverfahren verfasst hat, dennoch: Kinderrechte würden in den Fokus gerückt und auf ihre Einhaltung mehr Wert gelegt. Auch die Kindernothilfe glaubt daran, dass dadurch ein Bewusstseinswandel forciert werden kann.

Wenig Impulse vom Beschwerderecht verspricht sich dagegen Günter Benassi. Der ehemalige Richter am Oberverwaltungsgericht in Münster würde immer dazu raten, nicht zur UNO, sondern vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen. Ein Beschluss dort sei nämlich bindend und müsse in nationales Recht umgewandelt werden. Während das UN-Beschwerdeverfahren allenfalls Druck auf die Politik ausüben könne - und auch hier nur begrenzt, wie Benassi befürchtet. Kinder- und Jugendliche könnten sich nämlich nur einzeln oder im Zusammenschluss zu einer Gruppe an die UNO wenden. Organisationen, die sich für Kinderrechte einsetzen, bleibe der Weg nach Genf jedoch verwehrt.

»Juristisch ist ein Beschwerdeverfahren nur ein stumpfes Mittel«, betonte Benassi. »Es ist keinesfalls auf eine Stufe zu stellen mit einer Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz.« Verbände fordern dies seit Jahren. »Würde das geschehen, dann könnten Rechte eingeklagt und verlässlich gestützt werden«, sagte der pensionierte Richter. So könnte ein würdevoller Umgang mit Kindern und Jugendlichen zur Norm werden, wie dies auch Bergmann forderte.

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