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Unter Gaunern und Piraten

In neuer Übersetzung: Robert Louis Stevensons »Die Schatzinsel«

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.

Lloyd Osbourne war von seinem Stiefvater wenig entzückt. Der war ein unbekannter und erfolgloser Schriftsteller, Verfasser von Reisebüchern, Erzählungen und Essays, die nicht viel einbrachten und über eine Auflage nie hinauskamen. Pflichtgemäß las er sie alle, aber sie bereiteten ihm keine Freude, er quälte sich, weil sie so langweilig waren, und er wunderte sich nur, dass dieser Mann von Cooper und Jules Verne so angetan war wie er. Und dann die Wende. Er war zwölf, als er in den Ferien eine Inselkarte kolorierte. Der Stiefvater kam hinzu, war begeistert und fing an, Ortsnamen zu erfinden, und oben rechts schrieb er: Die Schatzinsel. Dann nahm er die Karte an sich und erschien am nächsten Tag, zur Überraschung des Jungen, mit ein paar Seiten, die er gleich vorlas. Es war der Anfang eines Romans.

Robert Louis Stevenson, 1850 in Edinburgh geboren, vom Vater lange unterstützt, weil er partout schreiben wollte, aber wenig verdiente, war 1881 auf dem Weg zum Ruhm. »Die Schatzinsel«, sein erster Roman, 1881/82 in Fortsetzungen gedruckt und 1883 als Buch erschienen, wurde sein größter Erfolg, ein Werk von berauschender Schönheit und Spannung, ein Klassiker, der nicht altert, bevölkert von zwielichtigen Gesellen, Ganoven, Piraten, Meuterern, die sich alle um einen Schatz balgen. Und mitten in dieser exotischen Szenerie mit ihren Flüchen, ihrer Brutalität und all dem Pulverdampf der Held der Geschichte, ein Junge namens Jim Hawkins, ein mutiges Kerlchen, das den schießwütigen, geldgierigen, verkommenen Gestalten tapfer die Stirn bietet. Ein großes Buch, mit Tempo und Raffinesse erzählt, geliebt, bewundert, gepriesen von Henry James und Marcel Proust bis zu Brecht und Italo Calvino.

Meist hat man die »Schatzinsel« als Jugendbuch gesehen. Sie wurde bearbeitet für Rundfunk und Fernsehen, über zwanzig Mal verfilmt, immer wieder in hohen Auflagen gedruckt, auch in Deutschland. Die letzte Übersetzung (von Ulrich Bossier für Reclam) liegt erst drei Jahre zurück, da kommt schon eine neue, diesmal für den Hanser-Verlag, der das Buch nun endgültig vom Ruf, ein Abenteuerroman für junge Leser zu sein, befreit. Andreas Nohl, der uns schon den neuen »Tom Sawyer und Huckleberry Finn« als ein Zeugnis der Moderne schenkte, sieht in der »Schatzinsel« mit Recht ein Stück Weltliteratur, und so steht sie nun auch dort, wo sie hingehört: in der exquisiten Klassikerreihe des Verlages, versehen mit einem Nachwort und einem Anmerkungsteil sowie Texten von Stevenson, seiner Frau und seinem Stiefsohn zum Buch und seiner Entstehung.

Man wird diese Ausgabe lieben. Sie ist schön wie die anderen Bände der noblen Edition. Auf dem Vorsatz die Karte der Schatzinsel, hinten die Skizze des Zweimastschoners. Dazu Nohls Übersetzung. Sie überzeugt, weil sie sich keine Freiheiten erlaubt, sondern streng dem Text Stevensons folgt.

Robert Louis Stevenson:
Die Schatzinsel. Roman. Hg. u. übers. v. Andreas Nohl. C. Hanser. 400 S., geb., 27,90 €

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