»Lassen Sie uns den Quatsch beenden«

Gabriel liefert sich Wortgefecht mit ZDF-Slomka - und verteidigt den Mitgliederentscheid / Kritik von Staatsrechtlern an Basisdemokratie

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Das wird ein Fernsehauftritt sein, der eine Weile in Erinnerung bleibt. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat sich ein Wortgefecht mit der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka geliefert - und die verfassungsrechtlichen Bedenken zum Mitgliederentscheid über die große Koalition als »Quatsch« bezeichnet. Gabriel verteidigte die Abstimmung der 475.000 SPD-Mitglieder am Donnerstagabend im »heute-journal« damit, dass das Parteiengesetz zur innerparteilichen Demokratie verpflichte. Auf die Frage, ob er sich vorab verfassungsrechtliche Gedanken über den Basis-Entscheid gemacht habe, sagte Gabriel: »Nee, weil es ja auch Blödsinn ist.«

Zuvor hatten einige Verfassungsrechtler eine Debatte darüber angestoßen, ob es legal sei, dass SPD-Mitglieder einen größeren Einfluss auf die Politikbildung in Deutschland hätten als die Nicht-Parteimitglieder - also Millionen Wähler. Auf »Handelsblatt online« hatte zum Beispiel der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart erklärt, der SPD-Mitgliederentscheid über den schwarz-roten Koalitionsvertrag nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. »Auch wenn es weder im Grundgesetz noch im Parteiengesetz oder im Abgeordnetengesetz eine Bestimmung gibt, die Mitgliederbefragungen explizit verbietet, halte ich sie in diesem Fall für verfassungsrechtlich nicht legitim«. Er begründete seine Vorbehalte mit dem Grundsatz des freien Mandats nach Artikel 38 des Grundgesetzes, der auch bei der Kanzlerwahl gelte.

»Auch wenn natürlich das Ergebnis der Mitgliederbefragung für die Abgeordneten bei der Stimmabgabe nicht formell verbindlich ist, kommt die Befragung aus meiner Sicht jenen Aufträgen und Weisungen nahe, die nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ausgeschlossen sind«, erläuterte der Verfassungsjurist. Die Parteien als solche dürften nicht über die Stimmabgabe der Abgeordneten bei der Kanzlerwahl bestimmen. Die Mitgliederbefragung habe aber »Elemente eines imperativen Mandats, das es nach dem Grundgesetz nicht geben darf«, so Degenhart. Auch aus der Union waren Stimmen laut geworden, welche den Mitgliederentscheid in Frage stellten.

Gabriel reagierte im Interview verärgert auf die Kritik: »Wieso soll eigentlich direkte Demokratie in einer Partei verboten sein? Den Verfassungsrechtler, der sowas behauptet, den würde ich gerne mal kennenlernen.« In der CDU entscheide nur der Vorstand, führte der SPD-Chef an: »Dann entscheiden ja noch weniger Menschen über das Schicksal der deutschen Demokratie. Seien Sie mir nicht böse, Frau Slomka, aber ich kann die Argumente nicht wirklich ernst nehmen.«

»Bloß nicht Nein sagen!«:
Kommentar zum SPD-Mitgliederentscheid von Tom Strohschneider

Gabriel kritisierte auch die politische Linie des ZDF. Es sei »nicht das erste Mal, dass Sie im Interview mit Sozialdemokraten nichts anderes versuchen, als uns das Wort im Mund herumzudrehen«, sagte er direkt auf Slomka bezogen. Auf die Frage, ob die SPD-Basis ihren Abgeordneten jetzt vorschreibe, wie sie abzustimmen haben, und ihnen damit die Wahlfreiheit nehme, antwortete Gabriel: »Das ist völlig falsch, was Sie sagen.« Nachdem sie sich gegenseitig mehrmals ins Wort gefallen waren, sagte Gabriel zu Slomka: »Tun Sie mir einen Gefallen: Lassen Sie uns den Quatsch beenden.« Durch den SPD-Basisentscheid werde etwas ganz anderes passieren: »Was die SPD jetzt macht, das wird nicht nur gut gehen, sondern es wird Schule machen.«

Verteidigt wurde der Mitgliederentscheid gegen die Slomka-Kritik auch in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Die Parteien hätten »einen relativ großen Spielraum in der Organisation ihrer Willensbildungsbildungsprozesse. Das kann ein Vorstands- oder Parteitagsbeschluss sein, aber auch ein Basisvotum wie jetzt bei der SPD. Diese Sichtweise wäre vor Jahren noch unumstritten gewesen«, schreibt das Blatt. dpa/nd

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